Salz und Asche - Roman
ihm in die Augen. »Es war das letzte Mal«, sagte sie.
Ihr Vater ließ die schon halb zum Schlag erhobene Hand sinken und seufzte tief. »Susanne, ich meine es doch nur gut. Sieh mal, ich war heute Vormittag beim Herrn von Waldfels, um zu sehen, was sich noch retten lässt. Und es zeigt sich, dass euer Gespräch ihn mehr bewegt hat, als ihr glaubtet. Er hat schon am Morgen seine beiden Bediensteten entlassen. Wobei er mit Kowatz so einig geworden ist, dass der vor Gericht zu dem Totschlag aussagt. Vielleicht ist Albert also bald frei. Dich zu verleumden wird Rieger
keinen Nutzen mehr bringen. Es wird alles wieder gut. Du musst jetzt nur vernünftig sein.«
»Was ist mit den Kindern? Was hat er dazu gesagt?«
»Er sieht ein, dass er die falschen Menschen beauftragt hat, um die Grundsteine für seine Utopia zu legen. Mit den Kindern sollen wir nach unserem Gutdünken verfahren.«
»Er trägt Till und mir nicht nach, dass wir uns eingemischt haben?«
Ihr Vater zögerte. »Nun, sagen wir, er hatte Verständnis. Allerdings fand er es ebenso befremdlich wie ich, dass du deinen Ruf derart leichtfertig aufs Spiel setzt. Sei die Sache, der du gedient hast, auch löblich.«
»Vater …«
»Nein. Was du mir jetzt vielleicht sagen möchtest, das will ich nicht hören. Du hast in bester Absicht gehandelt. Deine Unbedachtheit war eine einmalige Verwirrung und wird nicht wieder vorkommen. Dein Ruf und unsere Ehre sind intakt. So wird es bleiben, und zwar bis zu deiner Hochzeit. Bald bist du eine ehrbare Ehefrau, der niemand etwas Übles nachsagen wird. Darauf vertraue ich völlig.«
»Aber du hast doch gesagt, ich müsse mich noch nicht entscheiden.«
Die Stimme ihres Vaters wurde nun wieder eine Spur schärfer. »Das war, bevor du mich darauf gestoßen hast, dass das Gegenteil der Fall ist. Wenn Lenhardt fragt, dann gebe ich meine Einwilligung lieber heute als morgen. Und ich rate dir, dasselbe zu tun.«
»Ich verstehe dich nicht. Es ist noch nicht lange her, da hast du selbst gesagt, dass Lenhardt einen schlechten Leumund hat. Nun rätst du mir, ihn zu heiraten. Und Jan …«
Ruckartig griff ihr Vater wieder nach ihrem Arm und drückte ihn schmerzhaft. »Susanne, dir ist vielleicht nicht
deutlich geworden, wie sehr ich mich beherrschen muss, um geduldig mit dir zu sein. Ich sage es dir noch einmal in einfachen Worten: Für mich gibt es zwischen dir und dem fremden Habenichts keinerlei Verbindung, und das wird so bleiben. Ich will seinen Namen aus deinem Munde nicht mehr hören. Was Lenhardts Leumund betrifft, so ist dieser nicht ungewöhnlich für einen jungen Edelmann. Der größte Teil besteht aus Missgunst und Übertreibung. Zudem stößt sich ein jeder Mann nach seinem Rang und Stand die Hörner ab, bevor er ans Heiraten denkt. Wovor man eine Jungfer warnen muss, darüber kann sich eine Ehefrau später freuen. So ist es gewiss auch bei ihm.«
18
Erst Asche, dann Salz
D ie fremde Frau, die am Abend so fest ihre Tochter umschlungen gehalten hatte, hieß Anje. So viel brachte Susanne ohne Schwierigkeiten aus ihr heraus. Jedes weitere Wort allerdings musste sie der Frau einzeln entringen, während sie gemeinsam im Haus arbeiteten. Anje wurde rot, senkte den Blick und hauchte einsilbige Antworten, wenn sie angesprochen wurde, dagegen half alle Freundlichkeit nicht. Immerhin konnte Susanne sich schließlich zusammenreimen, dass Anje bei ihrem Bruder und dessen Frau in einer Bude an der Bardowicker Mauer lebte, seit sie verwitwet war. Die beiden hatten ihre Tochter Nelli gegen ihren Willen verkauft, als Anje todkrank im Bett gelegen hatte. Erst vor Kurzem hatte sie sich wider Erwarten so weit erholt, dass sie sich überhaupt nach dem Verbleib ihres Kindes erkundigen konnte. Es war Zufall gewesen, dass die Schiffer ihr auf dem Weg durch ihre Gasse begegnet waren, oder vielleicht ein Zeichen Gottes, wie Anje glaubte.
Als Susanne diese Geschichte den Männern erzählte, kamen sie gemeinsam zu dem Schluss, dass Anje nicht mit Nelli in die Bude ihres Bruders zurückkehren sollte. Kurzentschlossen bot Susannes Vater ihr die Stelle im Haushalt an, die er ohnehin hatte vergeben wollen. Obwohl Susanne über seinen Plan anfänglich nicht begeistert gewesen war, nahm sie die Hilfe nun froh an. Mit neun
Kindern und Regine im Haus gab es für sie keine Atempause. Umso weniger, als die zunächst noch eingeschüchterten Kinder allmählich auftauten. Minna war mit ihren acht Jahren die Älteste, die beiden jüngsten waren
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