Salz und Asche - Roman
Susannes innerem Auge flammte der Stützbalken auf, den sie von der Wand gerissen hatte. War auch dieses Unheil ihre Schuld? Sie näherte sich dem leeren Nest und hob es zaghaft auf. Es mussten Junge darin gewesen sein, doch die waren längst von Katzen oder Hunden geholt worden.
Sie hatte wahrhaft in kurzer Zeit viel erreicht: durch ihre Eigenmächtigkeiten den Streit zwischen Till und ihrem Vater geschürt bis zum Äußersten, ihren Vater krank vor Ärger gemacht, sich die Feindschaft eines flüchtigen Mörders zugezogen, in der Fürsorge für ihre Schwester so gründlich versagt, wie sie nur versagen konnte, ihr Herz gebrochen, Jan aus der Stadt vertrieben, ein Haus zum Einsturz gebracht. Das Einzige, was noch gut war, waren Lenhardt und Liebhild.
Sie starrte auf die Trümmer des Hauses und dachte an Jan, fühlte seinen warmen Atem in ihrem Ohr, seine Haut, seine Lippen auf ihren. Wie hatte er einfach gehen können?
Am darauffolgenden Sonntag, dem dritten nach dem Schützenfest, brachte Martin nach der Kirche Dorothea mit. Seine Braut wollte mit Susanne über die Gestaltung der Hochzeit sprechen. Susanne bemerkte schnell, dass die acht Jahre ältere Frau sie im Grunde nur darüber unterrichten wollte, welche Gebräuche zu beachten waren und in welchen Fragen man sich unbedingt gegen die Lossius’ behaupten musste, die gewiss abweichende Vorstellungen hatten.
Dorothea war sparsam. »Nicht umsonst hat der Rat immer wieder darauf bestanden, allzu ausschweifende Feierlichkeiten zu untersagen. Ich fürchte nur, dein Vater wird sich von den verschwenderischen Gewohnheiten des hohen Standes anstecken lassen. Es ist unsere Pflicht, dagegenzuwirken. Martin sieht das ebenso. Er ist auch der Ansicht, dass dein Vater bei deiner Mitgift jedes vernünftige Maß überschritten hat. Es sollte dir daran gelegen sein, dass dein zukünftiger Ehemann dieses Vermögen dem gemeinsamen Unternehmen wieder zuführt. Du darfst dich nicht verleiten lassen, jetzt Schulden zu machen, um unnützen Prunk für die Hochzeit anzuschaffen. Viele Mädchen tun das und wollen diese Schulden später aus der Mitgift bezahlen. Ich nehme doch an, dass du beizeiten Sorge getragen hast, deine Aussteuertruhe zu füllen? Das sollte für Hochzeitskleid und Wäsche genügen.«
Ausnahmsweise befanden sich nur Frauen in der Dornse. Dorothea hatte ihre jüngere Schwester zur Seite, die ihr
als Brautjungfer dienen würde. Susanne hatte Lene gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. Lene fühlte sich geehrt, doch Susanne hätte nicht gewusst, wen sie sonst hätte fragen sollen.
Während Dorotheas unscheinbare Schwester steif dasaß und noch weniger Heiterkeit ausstrahlte als Dorothea, hörte Lene aufmerksam zu. Susanne konnte spüren, wie sehr ihr Dorotheas Predigt missfiel.
Regine saß an ihrem üblichen Platz auf der Ofenbank und stickte weiße Blumen auf ihren grünen Schal. Es fehlte nicht mehr viel, dann würde sie nach all den Jahren das Stück wirklich vollendet haben. Es zerriss Susanne das Herz, wenn sie an den Kummer dachte, der ihr und damit dem ganzen Haus Büttner bevorstand. Sie würde ihr Wissen um Regines Zustand nicht mehr lange leugnen können.
Dorothea schnalzte ungehalten. »Hast du mir überhaupt zugehört, Susanne?«
»Ja, das habe ich. Es wird sich aber nicht umgehen lassen, dass ich Geld für die Hochzeit ausgebe. Regines und meine Truhen sind nicht gut ausgestattet. Wir hatten nie genug Zeit, uns darum zu kümmern.«
»Zeit? Fleiß meinst du wohl. So viel Zeit wird dieser mäßig geführte Haushalt dich wohl nicht gekostet haben. Und nach dem, was Martin mir über die Aufregung erzählte, die du deinem Vater in letzter Zeit zugemutet hast, nehme ich an, dass du schon immer Zeit übrig hattest, die du auf bessere Weise hättest verwenden können.«
Susanne dankte abermals dem Himmel, dass sie nicht das Haus mit ihrer Schwägerin teilen würde. »Das magst du betrachten, wie du willst. Die Schwierigkeit bleibt bestehen. Wenn ich meinen Bräutigam nicht beschämen will,
muss ich Geld in die Hand nehmen. Und ich bin sicher, dass auch Vater das nicht anders wünscht.«
Nun tat Dorotheas Schwester den Mund auf. »Das Erste wäre wohl, den Inhalt der Truhen zusammenzulegen. Anders wär’s ja Verschwendung. Die da wird doch ohnehin nicht heiraten.« Sie zeigte abfällig auf Regine.
Selbst Lene starrte entsetzt die beiden Frauen auf der anderen Seite des Tisches an. In Susanne kochte die Wut so rasch hoch wie in ihren Kindertagen.
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