Salz und Asche - Roman
»Aber?«
»Was du gesagt hast. Das tut mehr weh.«
Ihre Haube war verrutscht. Er nahm sie ihr ab und strich ihre losen Haarsträhnen zurück. Dunkles Blond, golden wie nasser, reifer Weizen auf dem Feld und weich in seinen Fingern wie das Fell eines jungen Tieres. Wunderschön und zu gut für ihn, wie alles an ihr. »Ich habe nicht nachgedacht, als ich es gesagt habe. Es tut mir leid.«
Sie nahm ihm die Haube aus der Hand und setzte sie mit energischen Bewegungen wieder auf. »Nächstes Mal denkst du besser nach.«
Er ließ sie los und seufzte. »Ich konnte nicht. Das ist es ja. Du musst mitdenken, Susanne. Du musst wissen, was du tust.«
»Aber das weiß ich doch.«
Er sah sie spöttisch an und schüttelte den Kopf. Sie lächelte durch ihre Tränen hindurch, küsste ihn noch einmal flüchtig auf die Lippen und stand auf. »So oder so. Ich muss gehen. Oder hast du mir noch etwas zu erzählen?«
Erst jetzt fiel Jan das Ergebnis seiner Nachforschungen ein, und er zog Susanne wieder zu sich auf die Treppenstufe, um ihr die Geschichte zu erzählen, schon allein, damit
sie noch blieb. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er eine Geschichte so ausführlich erzählt, wie er es nun tat.
Während Susanne Jan gebannt lauschte, entspannte sie sich langsam. Arm in Arm mit ihm zu sitzen war nun nicht mehr erregend, sondern warm und tröstlich, obwohl seine Worte sie keineswegs beruhigten. So, wie er diesen Kowatz beschrieb, war der ein gefährlicher Kerl. Falls sie mit ihrer Vermutung richtiglag und er nicht nur mit den verschwundenen Kindern, sondern auch mit dem Mord an Wenzel zu tun hatte, dann mussten sie sich in Acht nehmen. »Wenn Kowatz den Mörder kennt, dann müssen wir ihn dazu bringen, ihn anzuzeigen. Und vorher müssen wir die Kinder finden und befreien. Wie stellen wir das an?«, fragte sie.
Jan nahm sanft, aber entschieden ihre Hand von seinem Oberschenkel, nach dem sie in ihrer Aufregung gegriffen hatte. »Das wird uns in Teufels Küche bringen. Aber du hast recht. Wenn wir keinen Weg finden, dann sind wir am Ende mitschuldig, falls Albert wirklich verurteilt wird. Es hat wenig Sinn, Kowatz anzuzeigen. Er scheint ja einen guten Grund zu haben, sich unwissend zu stellen.«
»Glaubst du, dass er selbst der Mörder ist?«
»Ich trau’s ihm zu, aber er hat es bestritten.«
»Was machen wir nun?«
»Wir? Du gehst fein nach Hause und passt gut auf dich auf. Und ich werde versuchen, bei der nächsten Gelegenheit diesem Rieger zu folgen.«
7
Der fremde Herr
A uf dem Heimweg von ihrem Stelldichein mit Jan zwang Susanne sich, so gemessen einherzuschreiten, als käme sie aus der Kirche. Sie faltete die Hände und blickte sittsam vor sich auf den Boden, besonders, als sie an Mutter Künemanns Utlucht vorüberging. Zu ihrer Erleichterung hielt die Schneidersfrau diesmal nicht Ausschau. Nun galt es nur noch, Lenes und Liebhilds neugierigen Blicken standzuhalten, denn die Männer kämen sicher erst später heim. Sie musste ihnen nicht mehr begegnen, wenn sie gleich mit Regine und Liebhild zu Bett ging.
Doch sie kam nicht weiter als bis zur Durchfahrt des Böttcherhauses, bevor sie sah, dass ihr Glück sich gewendet hatte. Lene stürzte auf sie zu, so aufgeregt und mit so entsetztem Gesicht, dass Susannes Verstand einen Moment lang aussetzte. Weiß, dachte sie, weiß wie der Tod. Wie anderen schwarz vor Augen wurde, so sah sie vor Angst nur noch Weiß. »Suse, wo warst du so lange? Ich bin dir schon nachgelaufen. Regine und Liebchen sind weg. Suse, ich schwöre dir, ich war nur einen Augenblick beim Brunnen. Nur ganz kurz habe ich mit den Frauen gesprochen. Ich komme mit dem Wasser zurück und denke, sie sind im Bett, und ich fege noch den Flur, und als ich nachsehe …«
Susanne atmete tief durch, und der weiße Nebel lichtete sich. Regine und Liebchen waren zusammen fort. Das war
besser als Regine allein. Sie würden nicht weit sein. Mit erhobenen Händen brachte sie Lene zum Schweigen. »War die Muhme auch nicht hier?«
»Sie wollte ihrer Schwester eine Pastete bringen, weil die mit einem Fieber niederliegt. Wir konnten doch nicht ahnen … Liebchen hat noch so schön vorgelesen, und Regine saß ganz still da und …«
»Lene! Nun hör schon auf. Du weißt genau, dass Liebchen Regine nicht zurückhalten kann, wenn sie einen von ihren Einfällen hat. Wo hast du sie schon gesucht?«
»Um die Michaeliskirche bin ich gerannt und durch die Ohlingstraße, weil ich dachte, ich finde dich da. Aber dann bin
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