Salz und Asche - Roman
doch ihr selbst war es noch im Gedächtnis, wie ihr Vater sie als Kinder hierher mitgenommen hatte. Die Böttcherzunft hatte einen eigenen Lagerplatz auf der Hude, wo das frisch gelieferte, gute Buchenholz aufbewahrt wurde, aus dem sie die Salztonnen fertigten. Wie alles, was in Lüneburg mit dem Salz zu tun hatte, war auch das Tonnenholz von besonderer Bedeutung. Salz in Buchenfässern zu verkaufen war nicht vielen Salzproduzenten im Land erlaubt. Nicht nur das Siegel machte die Lüneburger Salztonne in ihrer festgelegten Form und Größe zu einem Markenzeichen. Die Böttcher empfanden ihre Herstellung als ehrenvoll.
Regine ging schneller, als sie den Fluss entdeckte. Susanne folgte ihr und beobachtete das Geschehen auf dem Wasser. Ein mit Säcken und Körben beladener Ewer wurde in Richtung Hafeneinfahrt vorübergerudert. Von einem der Holzlastkähne aus sprang ein nur mit einer kurzen Bruch bekleideter Junge in den Fluss. Er schien in Liebhilds Alter zu sein und war von der Sonne braungebrannt. Im Wasser wartete bereits ein Spielgeselle auf ihn. Sie begannen, wild zu toben und sich zu bespritzen. Regine blieb stehen und
sah ihnen mit großen Augen zu. Susanne war kaum weniger erstaunt. Sie hatte zwar gelegentlich Kinder im Fluss plantschen sehen, doch diese Jungen schwammen wie Fische. Sie musste sofort daran denken, was für eine Beruhigung es für sie gewesen wäre, wenn ihre kleine Schwester so hätte schwimmen können. Gleichzeitig überlegte sie, ob es die Schifferkinder gewesen sein konnten, die Jan gehört hatte. Doch er war überzeugt gewesen, dass die Stimmen aus dem Obergeschoss der Warborch gekommen waren.
Sie hakte Regine unter und zog sie sanft auf dem Weg entlang des Ufers weiter, vorbei an einem der kleinen Kräne, bis zur Ecke der Warborch. Hier standen diesseits und jenseits der Ilmenau mächtige Pfosten, zwischen denen nachts eine Kette über den Fluss gespannt wurde. Sie diente nicht nur dazu, die Stadt vor nächtlichen Angriffen zu schützen. Die Sperre sollte auch Kaufleute daran hindern, die Stadt heimlich mit ihren Schiffen zu verlassen, bevor sie ihre Abgaben entrichtet hatten oder ihrer Stapelpflicht nachgekommen waren. Susanne suchte mit dem Blick den Fluss außerhalb der Sperrkette ab. Tatsächlich lag dort das prächtige Reiseschiff, von dem Jan gesprochen hatte. Es war frei, jederzeit abzufahren und wiederzukehren.
Sie spazierte mit Regine langsam auf dem Pfad zwischen Haus und Fluss weiter. Aufmerksam lauschte sie nach oben. Zwei Kinder sangen, und auch Regine hörte es. Sie fiel mit ein. »Aus meines Herzens Grunde sag ich dir Lob und Dank in dieser Morgenstunde, dazu mein Leben lang, o Gott, in deinem Thron.«
Hinter dem Haus flatterte Wäsche auf der Leine - Laken und Männerhosen, ein Frauenrock, Kinderhemden, Jungenhosen und ein Mädchenkleid. Regine sang aus voller
Kehle, und ihre schöne Stimme trug weit. Susanne ließ sie gewähren. Unentdeckt würden sie ohnehin nicht bleiben, und was wirkte unschuldiger als ein laut gesungenes Kirchenlied? Als wäre sie sich keines Unrechts bewusst, führte sie Regine näher an das Reiseschiff heran.
Es dauerte nicht lange, bis sie Schritte hinter sich hörte und die dazugehörige Männerstimme. »Guten Tag auch. Haben die Jungfern sich verlaufen? Kann man helfen?«
Regine hörte auf zu singen, und Susanne setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Guten Tag, mein Herr. Nein, dank Euch, wir nutzen nur den schönen Sonnenschein für einen Spaziergang. Meine Schwester hat den Fluss so gern, und ich wollte mir das schöne Schiff von Herrn von Waldfels einmal ansehen. Das dort hinten ist es doch?«
Der Hudenvogt hatte eine amtlich-kühle Miene getragen, als Susanne sich zu ihm umwandte. Nun wurde sie milder. Er strich mit dem Zeigefinger über seinen ausladenden Zwirbelbart. »Der Herr hat das Schiff hier liegen, gerade damit es nicht jedermanns Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er ist ein bescheidener Mensch, der Herr von Waldfels. Nun möchte ich Euch nicht Euren Ausflug verderben, werte Jungfern, aber die Hude ist kein öffentlicher Tummelplatz. Hier wird gearbeitet, hier werden Werte gelagert, und es ist meine Verantwortung, dass alles der Ordnung nach abläuft. Gern biete ich meine Begleitung bis zum Stadttor an, wenn es Euch genehm ist.«
Susanne sah ihn treuherzig an. »Oh, wir haben nicht gewusst, dass man hier nicht spazierengehen darf. Und seht Ihr, wir sind mit Herrn von Waldfels bekannt. Gerade deshalb wollte ich gern das Schiff
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