Salz und Asche - Roman
ähnelte bis aufs Haar der Vorstellung, die Susanne von den Damen am Hofe des Kaisers hatte. Ihr Oberkleid in dunklem Rosa teilte sich über einem sahnefarbenen Unterkleid. Kein Stück des kostbaren Oberstoffes war frei von aufwendigen Verzierungen - Besätzen aus Seidenkordel in Weiß und hellerem Rosa, mit Stickerei gesäumten Durchbrüchen und spitzenbesetzten Nähten und Ausschnitten. Solcher Überfluss hätte leicht würdelos wirken können, doch Elisabeth Lossius’ Auftreten ließ diesen Eindruck nicht zu. Sie hielt sich so aufrecht und selbstbewusst, dass jeder Zweifel an ihrem Geschmack oder ihrem Recht auf Prunk ersticken musste.
Susanne konnte sich nicht daran erinnern, diese Frau schon einmal zu Gesicht bekommen zu haben. Sie lebten in derselben Stadt und doch in unterschiedlichen Welten. Auf einmal wurde ihr vollends bewusst, was für ein seltsamer Gedanke es von ihrem Vater war, sie mit Lenhardt verheiraten zu wollen. Was konnte ein junger Mann, der mit einer Mutter wie dieser aufgewachsen war, mit einem einfachen Mädchen wie ihr anfangen? Und was bewegte die Männer, in dieser Verbindung einen Vorteil zu sehen? Es beschlich sie der Verdacht, dass ihr Vater ihr einiges verschwieg, was diese Angelegenheit betraf.
Susanne sah zu, wie Frau Lossius huldvoll die Begrüßungen und Verbeugungen ihres Vaters und ihrer Brüder entgegennahm. Sie hatte lange darüber nachgedacht, welches Benehmen sich für sie und ihre Schwestern im Hause der hohen Herrschaften geziemte. Schmerzlich hatte sie dabei wieder einmal den Rat ihrer Mutter vermisst.
Dasselbe galt für ihre Kleidung. Ihr Vater hatte sie angewiesen, ein blaues Kleid ihrer Mutter für sich zu ändern. Seine Stimme hatte dabei ein wenig vor Rührung gebebt. Es war das zweitbeste Kleid seiner Frau gewesen, und er hatte sie gern darin gesehen.
Susanne hatte gewusst, dass er es gut meinte, und nicht abgelehnt, obwohl sie nicht glücklich damit war. Nicht nur, dass sie das Gefühl hatte, in dieses Kleid nicht hineinzugehören. Es war auch mit der Änderung leichter gesagt als getan. Ihre Mutter war größer und schlanker gewesen als sie, so wie Regine. Diese hätte das Kleid ungeändert tragen können, und Susanne hätte es ihr gern gegönnt. Stattdessen hatte sie die Rocksäume kürzen müssen und das Oberteil mühsam im Brustumfang weiter gezaubert.
Nun stellte sich heraus, dass dieses zweitbeste Kleid ihrer Mutter gegen die Robe von Frau Lossius ein Kittel war. Als Lenhardts Mutter sich ihr nun zuwandte und damit ihre Bewährungsprobe nahte, hatte sie ein wenig Herzklopfen. Nur nebenbei nahm sie wahr, dass auch Lenhardt inzwischen erschienen war. Sie knickste mit gesenktem Kopf, richtete sich dann auf und sah seiner Mutter in die Augen. Die ältere Frau musterte ihr Gesicht, und ihr Blick verharrte sekundenlang bei dem Bluterguss auf ihrer Wange. Zu Susannes Erleichterung sagte Frau Lossius nichts dazu, lächelte, nahm ihre Hand und drückte sie herzlich. »Einen gesegneten Sonntag. Mein Sohn hat mir eine Freude damit
gemacht, euch einzuladen. Es ist schön, junge Frauen im Haus zu haben.«
Susanne lächelte zurück. »Wir danken Euch für die freundliche Einladung.«
Elisabeth Lossius nickte und schenkte ihre Aufmerksamkeit nun Liebhild, die ebenfalls manierlich knickste und sich die Hand drücken ließ.
Regine dagegen blickte verträumt zu den Männern hinüber, die bereits ein Gespräch begannen. Susanne konnte wieder einmal nicht erraten, wo ihre Schwester in Gedanken war. Möglicherweise bestaunte sie die blitzenden Harnische, die hinter den Männern an der Wand hingen.
Frau Lossius trat näher zu Regine, wurde von ihr jedoch nicht bemerkt. Erst als Susanne ihre Schwester an der Schulter berührte, wachte sie aus ihrem Traum auf. »Regine, du musst unsere Gastgeberin begrüßen. Frau Lossius ist die Mutter vom jungen Herrn Lenhardt.«
Regine lächelte Frau Lossius so liebreizend an, dass nur ein kaltes Herz ihr den Moment der Unhöflichkeit nicht verziehen hätte. Rechtzeitig erinnerte sie sich auch an ihren Knicks. Frau Lossius betrachtete sie lange. Susanne sah ihr an, dass Regines Anmut sie berührte. Lenhardt musste seine Mutter auf wohlwollende Art vorgewarnt haben.
»Das hier ist ein schönes Haus. Und Ihr tragt ein schönes Kleid«, sagte Regine.
Frau Lossius lachte auf. Ihr Lachen klang warm und ließ sie jünger wirken, als sie durch ihr grau gesträhntes Haar erschien. »Was für liebenswürdige Komplimente. Ich danke dir. Ihr
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