Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
sie für Mythen, Traumgespinste, mehr nicht, und die Sí selbst waren, soweit er wußte, nicht sehr an Menschen interessiert. Sie hatten kein Reich, keine Politik, keine Gesellschaftsstruktur oder Kultur, keine Führung. Sie rotteten sich nicht gegen gemeinsame Feinde zusammen, führten keine Kriege gegen die Menschen. Vielleicht würde sich das jetzt ändern. Die Vorstellung einer Fey-Armee ließ ihn erschauern.
Von der Haupthöhle lenkte er seine Schritte in den Gang, der zur Zelle führte. Gebaut hatte man sie für Munition – für die Fey. Marhanor hatte nur darüber gelacht. Eisengitter hielten keine Sí.
Der Weg durch den Berg war uneben und rutschig. Einige der Goebellampen waren schon wieder kaputt. Asko huschte vorsichtig in die schwärzer werdenden Schatten. Der Stollen öffnete sich nach oben zu einer sich verjüngenden Felsspalte, die sich weit über ihm im Dunkel verlor. Leise konnte er Stimmen vernehmen, deren Echo die Wände verzerrt und unverständlich zurückwarfen.
Das mußte Hardenburg sein. Er sprach mit den Gefangenen. Gewiß war er nicht allein dorthin gegangen, mindestens zwei Menschen waren also vor ihm. Wenn sie jetzt umkehrten und zurückgingen, würden sie auf ihn treffen. Die Gruppe würde ihn ohne viel Federlesens beseitigen, wenn seine Tarnung aufflog. Er mußte wachsam sein. Die Gefangenen zu befreien mußte zurückstehen hinter seiner eigentlichen Aufgabe, was immer sie auch war.
Delacroix hatte ihm erklärt, daß moralische Skrupel, so verständlich und nobel sie auch sein mochten, nicht das Hauptanliegen eines Agenten im Einsatz sein durften. Die Primärziele waren vielmehr, am Leben zu bleiben und seinen Auftrag zu erledigen – nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge. Was tat Delacroix nur hier?
Ein plötzliches Blinken lenkte ihn von seinen Gedanken ab, und er blickte an der steilen Felswand neben sich empor. Wieder ein erlöschendes Goebellicht? Das Funkeln zeigte ihm ein natürliches Felssims mehrere Meter weit über ihm, fast wie ein Pfad, allerdings sehr schmal. Er fragte sich, ob die Felswände so weit oben weit genug von einander entfernt waren, um einen Mann durchzulassen. Die Felsspalte, die er als Pfad nutzte, war wie ein sehr spitzwinkliges Dreieck, wobei der schmalste Schenkel den Weg bildete. Immerhin war die Felswand mit dem Sims nicht überhängend, sondern nur sehr steil. Vielleicht konnte man hochklettern?
Er berührte das Gestein, das Wassertropfen in Tausenden von Jahren geglättet hatten. So viel Wasser gab es hier. Wenn es draußen regnete, dauerte es etwa vier Stunden, dann wurden die Bäche und Rinnsale im Berg zu reißenden Strömen und Wasserfällen. Höhlen waren gefährlich, und fast senkrechte, glitschige Felswände in ihnen hochzuklettern war nicht nur gefährlich, sondern ausgesprochen dumm.
Er tat es trotzdem. In der fast vollständigen Finsternis fühlte er die winzigen Nischen und Spalten, in die er Hände und Füße krallte, mehr als er sie sah. Er begann, sich hochzuziehen. Wenn er stürzte, würde er sich verletzen. Wenn er sich schwer verletzte, würde ihm jede Gelegenheit, sich zu wehren, genommen sein. Was er tat, war unbedacht, abwegig und hirnlos und sah ihm nicht ähnlich. Nur, was genau sah ihm ähnlich?
Wo der Fels nicht glatt und feucht war, hatte er messerscharfe Kanten. Hier herunterzufallen würde ihn aufschneiden wie eine Säge und ihm klaffende Wunden beibringen. Er mußte wieder an Charlotte denken. Es war so einfach, sich in diesen Höhlen zu verletzen. Höchstwahrscheinlich war sie längst tot. Es gab keinen Grund anzunehmen, daß sie überlebt hatte.
Doch es gab auch keinen logischen Grund, diese Wand zu erklimmen, und er tat es dennoch. Eine Lichtspiegelung hatte ihm den Weg gezeigt – kein Goebellicht war so weit oben –, und nun stieg und kroch er, zog sich Zoll um Zoll hoch. Dumm war das, vermessen, undurchdacht und unklug. Wenn er sich den Hals brach, half das niemandem. Weder Delacroix noch Corrisande waren das Risiko wert, daß er starb, bevor er seine Aufgabe erfüllt hatte.
Was diese Aufgabe war, war ihm plötzlich sehr klar. Der Befehl stand so klar in seinem Sinn, als hätte ihn jemand ausgesprochen. Er mußte die Maschine zerstören. Er mußte die Erinnerung daran auslöschen, auch wenn er selbst mit ihr zugrunde ging. Sie hatten Sprengstoff. Doch es sagte sich leichter, als es getan war. Mord war eine Todsünde. Selbstmord auch.
Er rutschte fast ab, ermahnte sich, besser aufzupassen. Seine Wange
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