Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
können auch nichts für gegeben hinnehmen, nicht einmal den Eindruck, daß sie in Gefahr ist. Sie laufen hier schon ich weiß nicht wie lange auf und ab und knurren die Schatten an. Ich habe Ihnen mehr als einmal gesagt, Sie sollen sich hinsetzen und ausruhen. Es ist mir ernst. Ich versuche, mir eine Lösung zu überlegen, etwas, das uns besser vor unseren Feinden verbirgt, und Sie stören meine Konzentration. Ihr Motto war immer zu tun, was getan werden muß, und was jetzt getan werden muß, ist, daß Sie sich hinsetzen und ruhig sind. Entkleidet oder naß, setzen Sie sich!“
Delacroix zwang sich, sich auf dem Höhlengrund niederzulassen. Kaum hatte er aufgehört, sich zu bewegen, wurde ihm noch kälter.
„Ich mache mir Sorgen“, brummelte er, „und lasse mich von diesen Sorgen beherrschen. Tatsache ist“, er hielt inne und kniff ärgerlich die Augen zusammen, „daß man viel draufgängerischer ist, wenn man nichts zu verlieren hat. Nicht, daß mir früher je aufgefallen wäre, daß ich nichts zu verlieren hatte. Nur jetzt habe ich so unendlich viel zu verlieren …“ Er sprach nicht weiter.
„Ich weiß. Aber vertrauen Sie auf Ihre Gemahlin. Ich kenne sie. Sie ist die kleine Person, die freiwillig den Köder für eine der abscheulichsten Kreaturen im Universum gespielt hat. Sie ist das Mädchen, das den Mann erstochen hat, der versuchte, Sie zu töten, und sie ist die Frau, die in einem Unterwassertunnel ohne Luft überlebt hat, weil sie ganz einfach Wasser geatmet hat. Ihre zierliche kleine Frau, Delacroix, ist zäh wie Leder und sehr selbständig. Ich würde sie gerne mal genauer untersuchen, um mehr über ihr seltsames Erbe zu erfahren.“
Delacroix entgegnete hölzern: „Seien Sie versichert, eine Untersuchung meiner Gattin ist unnötig. Sie ist nicht krank.“
„Aber äußerst ungewöhnlich. Vielleicht ist Wasseratmen ja nicht ihr einziges Talent. Unter der vorsichtigen Führung eines Meisters des Arkanen mag sie vielleicht weitere schlummernde Talente entdecken.“
Der Ex-Soldat blickte seinen Freund in den Schatten drohend an und unterdrückte ein erneutes Knurren.
„Meine Gemahlin ist glücklich damit, Mensch zu sein, vielen Dank. Die Aspekte in ihrem Leben, die darüber hinausgehen, irritieren sie. Sie ignoriert sie.“
McMullen nickte.
„Genau wie Sie. Sie ignorieren auch am liebsten Ihre Andersartigkeit.“
„Was für eine Andersartigkeit? Meine Augenfarbe verleiht mir keine besonderen Fähigkeiten. Ich gebe zu, meine Nachtsicht ist gut, doch sie geht auch nicht wesentlich über das normale Maß hinaus.“
„Ihre gelben Augen sind nicht das einzige an Ihnen, das Sie von anderen Menschen unterscheidet. Das wissen Sie genau. Sie haben mir erzählt, was mit Ihnen geschehen ist. Ich würde an diesem Erbe – oder was immer es ist – gewiß nicht zum Spaß herumpfuschen, und keinesfalls ohne die Unterstützung einer ganzen Gruppe versierter Kollegen. Doch ich habe seit langem den Verdacht, Ihr unheimliches Kindheitserlebnis sei mehr als nur eine schlechte Erinnerung. Auch Sie wären ein anregendes Studienobjekt. Ich fürchte nur, wir würden – sollten wir zum Kern Ihres Erlebnisses vorstoßen –mehr finden, als uns lieb ist. Haben Sie immer noch Alpträume?“
Delacroix blickte ihn verdrießlich an. Dann verzog sich sein Mund zu einem bitteren Lächeln.
„Ab und zu. Ehe wir losgeritten sind, hatte ich einen, in dem Corrisande starb. Es war gewalttätig, blutig und grausam.“
„Erzählen Sie mir davon?“
„Ganz sicher nicht.“
„Haben Sie ihr davon berichtet?“
„Ganz sicher nicht.“
„Ihr Kopf ist wie dieser Fels hier.“
„Nicht ganz so naß.“
„Gut. Lassen Sie mich das umformulieren. Ihr Schädel ist wie Granit. Dieses Gebirge ist aus Kalkstein. Er kann nicht mit Ihnen konkurrieren. Ich könnte Ihnen eventuell helfen!“
„Danke. Ich bin in der Lage, meine Probleme selbst zu bewältigen, und ich weigere mich kategorisch, mich von Träumen erschrecken zu lassen.“
„Ihre Weigerung ehrt Sie, ist aber ganz nutzlos. Wenn die Träume Sie nicht erschrecken würden, wären sie keine Alpträume. Doch ich werde Sie nicht zwingen. Noch nicht. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem Sie sich mit dem Erbe befassen müssen, das die Kreatur in Ihnen hinterlassen hat. Manchmal kann spüre ich es, wissen Sie. Wenn Sie sehr wütend sind oder sehr angespannt.“
Delacroix schwieg. Er wußte, daß die Wahrnehmung McMullens auf mehr Sinnen beruhte als den üblichen
Weitere Kostenlose Bücher