Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
spürte kein Leben um sich. Sie war allein.
Sie setzte sich auf und tastete mit den Händen über den Boden. Sie mußte hier weg, bevor der Schrecken der Finsternis sie genauso irre machte wie die Angst, vergewaltigt zu werden. Sie mußte den Weg nach draußen finden. Es galt, ihre Angst zu bekämpfen, sich nicht der Panik hinzugeben, die nach ihr griff. Sie zitterte. Ihre Zähne klapperten.
Sie hatte die Orientierung verloren, als sie durch die Dunkelheit gerollt war. Sie wußte nicht, in welcher Richtung der Eingang lag. Doch sie mußte ihn finden. Vielleicht ließen die Steine sich forträumen? Oder die Männer würden den Eingang freimachen. Sich Leopold zu ergeben war immer noch besser, als allein in der Dunkelheit zu sterben.
Sie horchte in die Stille, erwartete beinahe, das Brüllen eines abscheulichen Bergmonsters zu hören. Es gab Gerüchte über geheimnisvolle Orte und gute Gründe, warum man nicht in Höhlen oder verlassene Minen ging. All die Geschichten aus ihrer Jugend tauchten wieder in ihrem Gedächtnis auf. Bestien, die in der Dunkelheit auf Beute lauerten.
Doch sie hörte nichts, keine Stimmen, keine Felsen, die fortgeräumt wurden, keine Schritte. Nichts.
Sie wollte hier nicht sterben. Sie fühlte die ganze Last des Berges auf sich. Fels und Erde lauerten über ihr, sie konnte sie beinahe spüren. Die salzhaltige Luft war eisig. Der Stollen reichte weit in den Berg. Ersticken würde sie nicht, jedenfalls nicht so bald. Sie würde verdursten.
Wieder horchte sie. Er konnte doch nicht so weit weg sein! Er mußte sie doch hören!
„Graf Arpad?“
Er wollte sie nicht hören. Sie hatte ihn fortgeschickt, und er war gegangen. Genauso gut hätte er sie töten können. Doch er hatte versprochen, sie zu retten, und das hatte er getan, hatte sich selbst dafür in Gefahr gebracht. Seine Schuld war abgegolten. Sie lebte – und er war fort.
Sie zwang sich aufzustehen. Es war schwer. Ihre Knie bebten.
„Heilige Barbara, Schutzpatronin der dunklen Orte, hilf!“ flüsterte sie und raffte ihren katholischen Glauben zusammen, den sie in den vergangenen Jahren vernachlässigt hatte. Sie hatte das fromme Mädchen gespielt. Sie und ihr Onkel gingen sonntags zur Kirche, und beim Mittagessen diskutierten sie die Predigt. Eventuell hätte sie sich über den beschränkten Horizont des Dorfgeistlichen nicht lustig machen sollen.
Sie streckte die Hände aus und ging los. Nach zwei Schritten hatte sie eine Wand erreicht. Sie lehnte sich daran, schmiegte die Wange gegen den kalten Stein. Es war, als prophezeie er ihr, daß sie bald ebenso kalt und tot sein würde. Mit einer Hand am Fels und einer nach vorn in die Dunkelheit gestreckt begann sie ihren Weg den Tunnel entlang.
Ihre Muskeln schmerzten, doch sie ging immer weiter, Schritt um vorsichtigen Schritt. Linker Fuß, rechter Fuß. Ihre Stiefeletten rutschten auf dem holprigen Grund, ihre Hand krallte sich so gut es ging ins Gestein. Sie hatte kein Gefühl für Entfernung. So weit konnte der Eingang doch nicht entfernt sein? Sie begann, Schritte zu zählen. Nach einer Weile hielt sie an und versuchte, zu Atem zu kommen. Sie war zerschlagen und entkräftet. Doch sie mußte weiter. Linker Fuß, rechter Fuß.
Wenn sie nur etwas hätte sehen können! Doch vor ihren Augen war nur Schwarz.
„Einundfünfzig. Zweiundfünfzig.“
Ihr linker Fuß trat in Leere, und sie fiel. Ihre Hände kratzten an der rauhen Oberfläche der Tunnelwand entlang, aber da war nichts, woran sie sich festhalten konnte. Sie versuchte, ihr Gewicht zu verlagern und stolperte.
Diesmal schrie sie nicht, obgleich die Gefahr greifbar war und nicht eingebildet. Es würde wehtun, wenn sie aufschlug.
Zwei Arme umfaßten sie und zogen sie im Fallen hoch. Sie kämpfte gegen den Instinkt an, sich befreien zu wollen. Im nächsten Augenblick hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen. Seine Hände hielten sie an den Oberarmen.
„Ich führe Sie jetzt zur Seite. Wir müssen reden. Glauben Sie, Sie können mit mir reden?“
Sie nickte, dann sagte sie „Ja“ und merkte, daß er ihr Nicken gesehen haben mußte.
Er führte sie einige Schritte weit und half ihr, sich zu setzen. Sie lehnte sich an die Wand.
Er war da. Er war nicht im Dunkel verschwunden. Ein überwältigendes Gefühl der Erleichterung durchdrang sie und mit ihm die Erkenntnis, daß sie allein in der Finsternis war mit einem Vampir, gegen den sie sich nicht wehren konnte. Die Erleichterung verwandelte sich in Sorge. Sie hing
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