Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
spielte, wusste er natürlich bereits. Aber was er vor seiner Wühlarbeit am Computer nicht gewusst hatte, war, dass sie drei Jahre lang samstags am Arts Center einen Bildhauerkurs besucht hatte. Sogar einen Wettbewerb hatte sie gewonnen, für eine Arbeit, die jetzt im College Museum ausgestellt war. Und er hatte bisher auch nicht gewusst, dass sie sich bei einem Fahrradunfall das Schlüsselbein gebrochen hatte (auch ihre Krankendatei hatte er durchstöbert, denn weil sie in einer Schulmannschaft mitspielte, musste sie alles melden). Wenn Wissen Macht war, musste er einfach sehen, wie er am besten einen Vorsprung für sich herausholte.
Allerdings war er noch unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Wie er zur Tat schreiten sollte.
Sollte er erst mal in Deckung bleiben und abwarten? Oder sollte er aggressiver vorgehen? Und wer war eigentlich der Junge, den sie so gern zu mögen schien? Ihn durfte er nicht aus den Augen verlieren. Wie kam es, dass keiner ihn kannte?
All diese Fragen wirbelten Bobby immer noch im Kopf herum, als er Donnerstagabend nach Hause kam. Seine Mutter war in der Küche. Auf dem Esszimmertisch lag ein Stapel Dokumente aus ihrem Büro. Bobby blätterte darin herum und stieß dabei auch auf den Ausdruck des allwöchentlichen Polizeiberichts. Sein Vater und seine Mutter bekamen ihn als Newsletter und seine Mutter brachte ihn immer mit nach Hause, um ihn aufmerksam zu studieren. Auf diese Weise hatte sie manchmal schon Klienten gewonnen.
Bobby warf einen Blick darauf. »Irgendwas Besonderes?«
Seine Mutter antwortete aus der Küche: »Diebstahl. Schon seit ein paar Monaten. Da treibt jemand mit langen Fingern sein Unwesen.«
Dem Polizeibericht war auch eine Karte angehängt, auf der mit gelben Punkten die Adressen markiert waren, wo jemand einen Einbruch gemeldet hatte. Bobby mochte Pläne, Karten und Statistiken, deshalb beugte er sich darüber.
Aus dem Stadtplan ging hervor, dass die meisten Einbrüche und Diebstähle in einem ganz bestimmten Viertel stattgefunden hatten. Im Süden. In der Nähe der River Road. Dort kam er nicht oft hin. Es handelte sich um eine Gegend, wo die Häuser billig zu mieten waren. Wenn nämlich der Fluss über die Ufer stieg, war sofort auch das ganze Viertel überschwemmt. Obwohl das so gut wie nie mehr vorkam. Aber die Leute befürchteten immer noch, es könnte der Fall sein.
Das letzte Mal war er in der Gegend gewesen, als sie im IHOP Pancakes gegessen hatten. Dass sich dort Diebe herumtrieben, wunderte ihn nicht. Hatte er doch im IHOP gesessen, als jemand das Herz des Mädchens gestohlen hatte, das er liebte. Er war dabei selbst Zeuge gewesen.
***
Am nächsten Tag nach der Schule fragte Jessica Pope Bobby Ellis, ob er mit ihr einen Kaffee trinken wolle. Er dachte kurz nach, und obwohl sie süß aussah in ihrem tief ausgeschnittenen rosa T-Shirt, sagte er Nein. Jessica Pope war nicht Emily Bell.
Bobby erzählte Jessica, dass er was für seine Mutter erledigen müsse. Diese Art von Entschuldigung kauften ihm die Leute immer ab. Sie unterstellten dann automatisch, es handle sich um eine hochbrisante Sache. Kaum hatte Bobby Jessica diese Lüge erzählt, bekam er die Idee nicht mehr aus dem Kopf.
Die Karte mit den Einbruchstatorten hatte Bobby eingesteckt. Warum, wusste er nicht. Jedenfalls war sie in seinem Rucksack. Er zog sie jetzt heraus, stieg in seinen SUV und fuhr ans andere Ende der Stadt, um sich mal an ein paar von den Stellen umzusehen, wo etwas geklaut worden war.
Bei den gelben Punkten.
Bobby fuhr die River Road entlang, mitten am Nachmittag, der Himmel war wolkenverhangen, als er plötzlich den Jungen entdeckte, dem Emily vom IHOP auf die Straße nachgelaufen war. Genau wie damals ging neben ihm ein kleinerer Junge. Bobby war sich ganz sicher, dass es die beiden waren, denn sie hatten das Gleiche an wie damals. Außerdem hielt der kleinere Junge genau wie damals etwas gegen die Brust gepresst.
Bobby Ellis fuhr bis zur nächsten Ampel, wendete und nahm die Verfolgung auf. Er machte das ganz automatisch, ohne viel nachzudenken.
Und so fand er heraus, dass die beiden Jungen in einem baufälligen Haus am Ende einer Reihe heruntergekommener Häuser in der Needle Lane wohnten, ganz am Rande der Stadt.
***
Sam war erleichtert.
Er hatte sich mit aller Kraft dagegen gewehrt, an Emily zu denken, und war gescheitert. Und jetzt, da er sich geschlagen gegeben hatte, kam es ihm vor, als habe er sogar einen Sieg davongetragen – ein Gefühl, das ihm
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