SAM
ist. Und wenn ich dich mit meinen Fragen nerve, dann doch nur, um dich besser verstehen zu können. So ist das nun mal, wenn man liebt. Man möchte soviel wie möglich über den anderen wissen.“
„Ich weiß, ich nehme es dir auch nicht übel, aber ich bin es nicht gewohnt, so viel von mir preiszugeben. Es gab Zeiten in denen ich Jahrzehnte lang allein war und Zeiten in denen ich anderen vertraut habe, die mich dann betrogen und verraten haben. Ich habe in der langen Zeit meiner Existenz zu viele schlechte Erfahrungen gemacht und du bist seit langem die Einzige, der ich mich so anvertraue und die so viel von mir weiß.“ Er wirkt nachdenklich. Dann jedoch schenkt er mir einen flüchtigen Kuss und fordert mich auf: „Komm lass uns spazieren gehen, es ist ein so schöner Tag.“
Der Wald, der direkt an das Häuschen grenzt ist wunderschön. Durch das dichte Blätterdach fällt nur sehr wenig direktes Sonnenlicht, aber es ist trotzdem hell und wir genießen die würzige Waldluft. Alexander hält die ganze Zeit meine Hand, während wir durch den dichten Wald laufen. Er erzählt mir von seinen Reisen durch das alte Europa und ich höre ihm fasziniert zu. Schließlich kommen wir an eine Stelle, wo der Laubwald in einen Mischwald wechselt und dann schließlich in einen Kiefernwald. Die Kiefern stehen so dicht gedrängt, dass kaum Licht bis zum Boden reicht. Wir bleiben stehen und sehen in diesen dunklen Wald hinein. Die kahlen Kieferstämme sehen gespenstisch aus. Der Waldboden ist hier auch nicht mehr von Büschen, Sträuchern und Farnen bedeckt, sondern nur noch von Moos. Und dieses Moos, das den ganzen Boden flächendeckend wie ein Teppich überzieht, leuchtet regelrecht. Es ist hellgrün, fast fluoreszierend. Und dann sieht man ab und zu einige weiße Pilze aus dem hellgrün leuchtenden Moos herausstehen. Diese Szene hat etwas Bizarres und doch außergewöhnlich Schönes. Es ist sehr still hier. Als hält die Natur für einen Augenblick den Atem an. Kein Vogel ist zu hören, nur unsere Atemzüge. „Ich habe so etwas noch nie gesehen!“ Unwillkürlich habe ich meine Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
„Es ist wunderschön, nicht wahr? Was sich die Natur ausdenkt, ist immer perfekt. Alles was natürlich ist, ist makellos, hat einen Sinn und Zweck und eine Bestimmung und einen Grund zu existieren. Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt in diese Welt gehöre?“ Er sagt dies mit einer solchen Traurigkeit und Verzweiflung, dass es mein Herz tief berührt. Dann atmet er einmal tief durch, sieht mich mit einem gequälten Lächeln um die Lippen an und sagt: „Lass uns langsam umkehren, es wird bald dunkel werden.“ Er hat recht. Wir erreichen das Häuschen, als die Sonne gerade untergeht. Alex nimmt sogleich einige Holzscheite mit hinein und beginnt erneut den Herd zu befeuern, während ich mich noch einmal auf die Veranda setze und den herrlichen Ausblick genieße. Seine Worte über die Berechtigung seiner Existenz gehen mir nicht aus dem Kopf. Er tut mir leid. Wie schwer muss es sein, Jahrhunderte lang zu leben. Es muss eine unglaubliche Last sein, all das Wissen um so vieles geheim zu halten und sich immer wieder neu anzupassen zu müssen. Wie stark muss man sein, um ewig zu leben?
„Hast du keinen Hunger?“, höre ich Alex rufen. Der Wind, der sacht über den See weht, ist kühl und ich reibe mir die Arme, als ich wieder hineingehe. Alex beheizt gerade den Kachelofen. Wieder stehen zwei Weingläser auf dem Tisch und ein Teller.
„Was bereitest du denn heute für mich zu?“, frage ich herausfordernd.
„Wir haben noch den Rest von dem Brot und ein Stück Käse.“ Er ist offenbar mit seinem Koch-Latein am Ende.
„Oh, ich weiß was wir daraus machen können: Käsesandwiches.“ Ich liebe Käsesandwiches. Alex schneidet mir zwei Scheiben Brot ab und ich belege sie dick mit Käse. Dann lege ich sie auf den Herd. Dort bleiben sie so lange liegen, bis die Unterseite schön knusprig ist und oben der Käse anfängt zu schmelzen. Mmmhh, lecker! Nachdem ich meine Käsebrote vertilgt habe, setzen wir uns mit unseren Gläsern auf das Sofa. Alex hat einige Kerzen angezündet und noch etwas Holz in den Kachelofen nachgelegt.
„Winston hat mir eine Nachricht auf meinem Handy hinterlassen. Morgen werden die Pflanzen für den Wintergarten geliefert. Wir werden also wieder heimfahren.“ Er weicht meinem Blick aus, wahrscheinlich weiß er, wie traurig es mich macht, wieder zurück zu müssen. Trotzdem versuche
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