Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SAM

SAM

Titel: SAM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Caspary
Vom Netzwerk:
weitere Vorhänge aufgezogen und betrachtet mein fasziniertes Gesicht. Alles in diesem Raum ist etwas staubig und schmutzig, aber von allen Zimmern, die ich bisher hier im Schloss gesehen habe, ist dieser der absolut hinreißendste Raum. Als ich mich ihm wieder zuwende, sehe ich, dass er mich offensichtlich die ganze Zeit beobachtet hat.
    „Das ist umwerfend schön, ich habe noch nie so etwas Wunderbares gesehen “, schwärme ich. Mit einigen langen Schritten steht er auch schon vor mir.
    „Ich wusste, dass es dir gefällt!“ Leise und dunkel klingt seine Stimme und ich bekomme eine Gänsehaut. Wenn er in dieser Tonlage spricht, dann ist es, als wenn ein Windhauch sacht über meine Haut streicht. Für einen winzigen Augenblick grüble ich über das vertraute „dir“ nach. Warum duzt er mich auf einmal?  Die Sekunden vergehen, in denen wir ohne etwas zu sagen oder uns zu bewegen dastehen und uns nur ansehen. Es ist eine seltsame Situation. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Er übt eine undefinierbare Anziehung auf mich aus, die mir ehrlich gesagt unheimlich ist. Schließlich bricht er das Schweigen und führt mich zu einem der großen Fenster. Durch das milchig trübe Glas erkenne ich…einen Wintergarten, verwunschen, verwuchert und trotzdem bezaubernd.
    „Die Bibliothek mit dem angrenzenden Wintergarten wird eine besondere Herausforderung. Aber ich werde alles daran setzen, dass sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt wird.“  Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er das Schloss bereits von früheren Zeiten her kennt. Kann es sein, dass er hier bereits schon einmal gelebt hat, vielleicht als Kind? Liegt ihm so viel an diesem Raum, weil er damit besondere Erinnerungen verbindet? Die Familie Winchester, die zuletzt hier wohnte, hat das Anwesen aus einer finanziellen Notlage heraus vor 28 Jahren veräußern müssen und der National Trust hatte zunächst das Grundstück übernommen. Vielleicht hat DeMauriere vor den Winchesters hier gelebt…! Jedenfalls ist ihm deutlich anzumerken, dass ihm viel an der Wiederherstellung und Renovierung des Anwesens, insbesondere der Bibliothek, liegt. Wir sehen uns noch ein wenig um und beenden schließlich unseren Rundgang. Als wir zurück im Arbeitszimmer sind, besprechen wir noch, welche Arbeiten morgen erledigt sein sollten und welche neuen Tätigkeiten zu vergeben sind.
    Inzwischen leert sich das Haus, die Fahrzeuge verlassen die Auffahrt und ich bin dabei, nachdem ich mir für morgen die entsprechenden Papiere zurecht gelegt habe, den Heimweg anzutreten. Im Haus herrscht, nach dem anhaltenden Geräuschpegel des Tages, nun eine angenehme Stille. Alexander DeMauriere bringt mich zur Tür und begleitet mich noch zu meinem auf der Wiese neben dem Waldrand stehenden Käfer. Ich schließe die Fahrertür auf und werfe meine Tasche auf dem Beifahrersitz. Dann drehe ich mich nochmal zu ihm um. Die Auffahrt ist mittlerweile beleuchtet. An den Rändern der eingefassten Beete stehen kleine Laternen. Die Elektriker haben gut gearbeitet.
    „Es war ein anstrengender Tag, nicht wahr?“, fragt er wieder mit dieser warmen, dunklen Stimme.
    „Ja, die vielen neuen Eindrücke muss ich jetzt erst einmal verarbeiten“, erwidere ich lächelnd.
    „Gute Nacht, schlafen sie gut“, verabschiedet er sich. Ich steige in mein Auto und starte den Motor. Ich kurble das Fenster hinunter, um die laue, abendliche Sommerluft zu genießen. Immer noch steht er in der Auffahrt, als ich meinen Wagen wende, um zurück auf die Zufahrt zu finden. Er blickt mir nach und als ich ihn im Rückspiegel sehe, wie er in der Dunkelheit meinem Auto hinterher blickt, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Diese Szene kenne ich. Letzten Sonntag, als er vor dem toten Reh stand, hat er mir genauso hinterher gesehen.
     
    Trotzdem ich hundemüde bin, mache ich mir noch eine Tomatensuppe warm, setze mich in die Küche und denke über den Tag im Schloss und über Mr. DeMauriere nach. Ich hatte den ganzen Tag das Gefühl, er wäre bei mir, irgendwie immer präsent. Als würde er mir ständig über die Schulter schauen. Und dann waren da heute noch so viele Merkwürdigkeiten. Die Art, wie er mich ansieht, seine Stimme, die eine so außergewöhnliche Wirkung auf mich zu haben scheint, dieses Gefühl, wenn sich unsere Haut berührt. Ich habe so etwas noch nie zuvor bei einem Menschen erlebt. Und dann dieses seltsame Unbehagen, dass mich heute den ganzen Tag begleitet hat. Als ginge etwas

Weitere Kostenlose Bücher