SAM
nahe geht. Aber er muss rational denken, muss Herr des Geschehens sein, die Kontrolle behalten, gerade jetzt. Er geht zurück ins Haus, während ich immer noch fassungslos vor Entsetzen und geschockt von dem Anblick der Leiche, im Auto verharre. Immer wieder laufen die letzten Minuten wie ein Film vor meinen Augen ab. Immer wieder packt mich der absolute Horror. Dieser dürre, leblose Körper, der dort in dem Haus in einer Blutlache liegt, hat nichts mehr mit der Frau gemeinsam, der ich so vieles zu verdanken habe. Sie war mehr als eine Freundin, sie war wie eine Schwester zu mir. Mit Tränen in den Augen blicke ich erneut zu dem Haus und der offenstehenden Tür, die wie ein Tor zur Hölle scheint. Ja, es ist die Hölle. Nur der Teufel allein kann so etwas Schreckliches tun.
Kaum zehn Minuten später hält ein schwarzer Lieferwagen mit dunkel getönten Scheiben hinter Alexanders BMW. Zwei Männer steigen aus. Sie gehen mit einer Trage in das Haus und kommen wenige Minuten später mit der verhüllten Leiche Francescas zurück. Ich sehe im Rückspiegel, wie die hinteren Türen des Vans geöffnet und dann wieder verschlossen werden. Dann steigen die beiden wieder ein und fahren davon. In diesem Augenblick kommen Alexander und Rhys aus dem Haus und reden noch kurz miteinander. Sie nicken sich zum Abschied zu und schon sitzt Alex wieder hinter dem Steuer und wir fahren nach Hause. Während der Fahrt sprechen wir kein Wort miteinander. Immer wieder fließen Tränen meine Wangen hinunter und ich frage mich nach dem Warum. Warum musste ausgerechnet Francesca sterben? Und immer wieder sehe ich Francescas Gesicht vor mir: weiß, eingefallen, knochig,…tot!
Im Appartement angekommen setze ich mich auf das Sofa und starre vor mich hin, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Noch immer geschockt von dem, was ich gesehen habe. Nachdem Alexander ein paar Telefonate erledigt hat, bei denen ich auf den Inhalt so gut wie gar nicht geachtet habe, setzt er sich zu mir.
„Sam, ich möchte, dass du Francesca nach Hause begleitest. Sie soll neben Bernardo und Marie beerdigt werden.“ Seine dunklen Augen blicken mich ernst an: „Luca ist nicht auffindbar. Rhys hatte ihn benachrichtigt, als er Francesca gefunden hatte. Luca kam sofort, sah seine tote Schwester und verließ das Haus ohne ein weiteres Wort, unmittelbar bevor wir beide ankamen. Seit dem ist jeglicher Kontakt abgebrochen. Ich kann ihn auch mental nicht erreichen und mache mir große Sorgen. Deswegen werde ich hier bleiben, um nach ihm und letztlich auch nach Francescas Mördern zu suchen.“ Immer noch hält er mich mit seinen Augen gefangen. „Sam, ich bitte ich dich, alles Notwendige hinsichtlich der Beisetzung zu veranlassen.“ Er macht eine kleine Pause, um mich erneut prüfend anzusehen.
„Es ist bereits alles vorbereitet. Deine Maschine geht um elf Uhr nach Rom. Von dort holt dich ein Privatjet ab. Der Sarg wird die ganze Zeit mit dir reisen. Du musst in den nächsten drei Tagen alles fertig arrangiert haben, das heißt, die Trauerfeier und die Beerdigung muss in den nächsten Tagen erfolgen. Der Körper eines Vampirs zerfällt zwar nicht sofort zu Staub und Asche, aber er verwest doch sehr schnell. Du hast es mit eigenen Augen gesehen.“ Er macht erneut eine kleine Pause.
„Traust du dir das zu? Begleitest du Francesca auf ihrem letzten Weg?“ Ich starre ihn fassungslos an. Seine Worte klingen noch immer in meinen Ohren. Kennt er keine Trauer? Wie kann er nur so kalt und berechnend sein? Trifft ihn der Tod Francescas denn überhaupt nicht? Warum zeigt er nicht den Hauch einer Emotion? Er nimmt meine Hand und haucht einen Kuss auf meinen Handrücken. Dann sieht er mich mit traurigen Augen an. Natürlich spürt er meine Verwirrung und mein Entsetzen.
„Bitte glaube nicht, dass mich ihr Tod nicht berührt. Aber ich muss so handeln. Ich tue es aus tiefen Respekt vor einer Frau, die mich ihr Leben lang geliebt hat und deren Gefühle ich nicht so erwidert habe, wie sie es sich gewünscht hat. Ich muss Luca finden und mit ihm gemeinsam Francescas Tod rächen. Ich werde ihre Mörder nicht ungeschoren davonkommen lassen.“ Die letzten Worte hat er mit der ihm eigenen grimmigen Entschlossenheit ausgesprochen. Ich nicke und antworte mit erstickter Stimme: „Sie war mehr als eine Freundin für mich! Sie war wie eine Schwester.“ Ich senke den Blick, in meinen Augen brennen erneut Tränen. „Ja, ich tue es! Ich werde sie nach Hause bringen!“
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