SAM
ich vor ihm. Das kann einfach nicht wahr sein. „Du uneinsichtiger, sturer, verblendeter, eifersüchtiger Egoist“, schreie ich ihn an. „Rhys hat mir mehr als ein Mal das Leben gerettet. Er war für mich da, wenn ich ihn brauchte, er hat das Leben deiner Tochter gerettet. Er würde alles für uns tun.“ Meine Stimme bebt vor Zorn.
„Ja! Er würde alles für dich tun. Er kennt dich besser, als ich es tue. Er liest deine Gedanken. Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, wie sehr du seine Nähe in den letzten Wochen gesucht hast?“
„Alexander DeMauriere, untersteh dich mir etwas anzuhängen, was an den Haaren herbeigezogen ist. Ja, habe seine Nähe gesucht. Aber nicht aus den Gründen, die du mir unterstellst. Er ließ mich in Ruhe, er gab mir Halt und Sicherheit. Er war da für mich, wenn du mit den Kämpfen und deinen Pflichten nur ein müdes Lächeln für meine Probleme übrig hattest. Ja, ich liebe Rhys. Von ganzem Herzen. Wie den Bruder, den ich nie hatte.“ Wir stehen uns gegenüber und starren uns an. Die Luft zwischen uns ist aufgeladen und ein einziger Funke könnte jetzt eine Explosion auslösen.
„Ich bleibe dabei. Rhys muss gehen!“, sagt Alex und sieht mich mit kalten Augen an.
„Dann gehe ich auch!“, sage ich leise.
„Nein, Sam, nicht. Setze nicht dein Glück aufs Spiel. Das ist es nicht wert.“ Rhys steht in der Tür und reicht mir das Baby. Er und Alex starren sich an. Dann dreht sich Rhys um und geht. Ohne ein weiteres Wort. Ohne einen weiteren Blick zu mir. Tränen laufen über mein Gesicht. Ich drücke Emily fest an mich und laufe mit langsamen Schritten aus dem Wohnzimmer hinauf in mein Schlafzimmer. Ich werde Rhys nie wieder sehen. Der Gedanke daran, ihn für immer verloren zu haben, macht mich nicht nur unendlich traurig, sondern auch maßlos wütend. Wütend über diese absolut ungerechte, aber unumstößliche Entscheidung meines Mannes.
Es ist die erste Nacht seit langem, in der ich Alexander mein Bett verweigere. Zu sehr hat er mich enttäuscht. Zu sehr nagt der Gedanke an mir, dass mir Alexander nicht vertraut. Hat er denn einen Grund mir nicht zu vertrauen? Ja! Denn ich bin diejenige, die ihn angelogen hat. Ich bin diejenige, die ihm zunächst verschwiegen hat, dass ich in Schottland war und was dort geschehen ist. Ich bin diejenige, die Rhys von meinem Blut gab. Ich bin diejenige, die die Verantwortung für die Zukunft der Rasse der Vampire trägt und die Alexander nichts davon sagt. Ich habe eigenmächtig die Entscheidung getroffen ein Vampir zu werden. Ja, Alexander wird von mir belogen und betrogen. Und dann verlange ich von ihm, dass er mir vertraut?
Die Wochen gehen vorbei. Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Seitdem Rhys uns verlassen hat, habe ich nichts mehr von ihm gehört. Mein Leben hat wieder einen Alltag, der im Wesentlichen davon bestimmt ist, mich um die Kinder zu kümmern und die weiteren Ausbauten des Hauses zu überwachen. Alex und ich teilen wieder unser Bett gemeinsam, schlafen aber nicht miteinander. Ich kann ihm immer noch nicht verzeihen, dass er mir unterstellt hat, eine Affäre mit Rhys gehabt zu haben. Immer wieder geht mir in den letzten Tagen ein Gedanke durch den Kopf. Ich muss Abstand gewinnen. Abstand von allem. Ich brauche etwas Zeit für mich. Dr. Armenti bestätigt mich in meinem Wunsch nach Ruhe und einer Auszeit. Er hat mich auch schon zu sich nach Italien eingeladen und entsprechende Äußerungen gegenüber Alexander gemacht. Von wegen, ich müsse mal ausspannen, Zeit für mich haben und den Alltag hinter mir lassen, um mich richtig zu erholen. Sogar von Anzeichen einer Depression wurde gesprochen.
Ich betrachte mich im Spiegel. Es ist morgens und nach einer unruhigen Nacht, Alexander war auf Patrouille und die Kinder haben mich kaum eine Stunde schlafen lassen, erkenne ich deutliche Zeichen des Stresses an mir. Dunkle Ringe sind unter meinen Augen und ich wiege inzwischen weit weniger, als vor meiner Schwangerschaft mit Dean. Man kann auch sagen, ich bin abgemagert. Rhys fehlt mir und alle Versuche Vanessas oder der anderen, mich aufzumuntern schlagen fehl. Gestern hat Dr. Armenti eine niederschmetternde Diagnose gestellt: Postnatale Depression. Ich verstehe das nicht. Was ist bloß los mit mir? Eigentlich müsste ich doch der glücklichste Mensch der Welt sein: Ich habe einen mich liebenden Mann, zwei gesunde Kinder, Freunde und ich lebe in Wohlstand und Sicherheit. Und doch denke ich manchmal in ein tiefes,
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