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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Turkestanrücken besetzt hatten, war mit den russischen Besatzern im Tal gewiß nicht abgesprochen. Es war nur eine Frage der Zeit und die beiden Großmächte würden aneinandergeraten, China würde offiziell in den Krieg eintreten, und zwar, kaum zu hoffen, auf Seite des Westens. Aber vielleicht verstand es Kaufner auch nicht richtig.
    Zunächst nahmen sie die Seidenstraße Richtung Südosten, Kaufner kannte den Weg so gut, daß er dem Kerl gedankenverloren hinterhertrotten konnte. Allerdings lag das Mausoleum nach seiner Erinnerung in entgegengesetzter Richtung. Der Führer wies sämtliche Zweifel brüsk zurück, er sei hier geboren, er wisse, was er tue, wohin er gehe. Auf der Höhe von Pendschikent begannen sie mit dem Abstieg ins Serafschantal. Der Kerl weiterhin wortkarg und unwirsch. Nur ein einziges Mal blieb er stehen, blieb auf der Stelle stehen, als ihn Kaufner auf den Sultan ansprach, und wurde redselig:
    Der habe zwei Hörner! beteuerte er, beschwor er, bestürmte er Kaufner: Der sei mit einem Blutbatzen in der Hand geboren worden, wie Timur! Und habe schon auf demselben Teppich gebetet wie der Kalif. Jedem Tadschiken sei er der Fluch Gottes. Schieße man auf ihn, fahre die Kugel glatt durch ihn hindurch, ohne ihn im mindesten zu ritzen. Stoße man ihm ein Messer zwischen die Rippen, würde er nicht einmal bluten. In welcher Gestalt er die Menschen auch heimsuche, es sei der Scheitan persönlich.
    Derlei Legenden kannte Kaufner vom
Kirgisenkamm
, vom Lagerfeuer in Samarkand, er hörte bloß mit halbem Ohr hin. Hätte man ihnen Glauben schenken wollen, wäre man vollends vom Mittelalter verschlungen worden. Einem Mittelalter mit N - und ZZ -Bomben zwar, doch vielleicht war es mit all seinen Wunderwaffen und sonstigen technischen Errungenschaften sogar noch dunkler, abergläubischer, blutrünstiger. Wo es für die Menschen keine Welt mit Zukunft mehr gab, gab es anscheinend nur eine der Vergangenheit. Im Tal leuchtete da und dort der Mohn, der Fluß ein schillernd sich schlängelndes Silberband, am anderen Ufer, weit entfernt, eine Rauchsäule – womöglich ein Dorf, das gerade abgefackelt wurde. Vielleicht aber auch bloß Bauern, die ihre Felder abbrannten.
    Auf halber Höhe des Hangs machte der Pfad endlich entschieden einen Knick, führte fortan in die entgegengesetzte Richtung, nach Westen. Allerdings weiter bergab. Der Duft auf den Hängen wurde würziger, bald kam der Zaun in Sichtweite. Kaufner äußerte erneut Zweifel, sein Führer wiederholte beharrlich, er sei hier geboren und des Weges kundig, es gebe einzig diesen, jedenfalls vom Hochplateau aus. Am Rande einer der Rinnen, durch die im Frühjahr das Schmelzwasser und nach den Gewittern die Sturzflut zu Tale schoß, machten sie Mittagsrast. Kaufner wischte sich den Schweiß mit Shochis Taschentuch ab und, wie’s Odina immer getan, drückte das Tuch anschließend aus. Es gab ein Glas Honig, in das man frisches Fladenbrot tauchte. Schon beim Essen fielen Kaufner immer wieder die Augen zu. Der Mann machte Tee, dabei zeigte er auf die helle Spur des Pfades, die sich auf der anderen Seite der Rinne fortsetzte:
    Was da bis zum Horizont so leuchte, das sei der Weg zum Mausoleum. Wenn man zügig gehe, werde man es am frühen Abend erreichen, der restliche Weg ein Kinderspiel. Im Grunde könne man die Augen schließen, man finde ganz von selber hin.
    Es sollte nur wenige Minuten dauern, bis Kaufner begriffen hatte, warum der Kerl das überhaupt noch gesagt hatte.

    Denn mehr als ein paar Minuten waren es sicher nicht, die Kaufner eingenickt gewesen. Wie er die Augen wieder aufschlug, war der Kerl verschwunden. Kaufner konnte es ihm nicht verübeln, für ihn würde es heute schon um Leben und Tod gehen, sofern man die perverse Logik des Sultans recht begriffen hatte, da zählte jede Stunde.
    Ohne besondere Eile arbeitete sich Kaufner in die Rinne hinab, auf der anderen Seite aus der Rinne heraus, nahm den Pfad, den ihm der Kerl gewiesen. Anhaltend ging es bergab, er hätte sich nicht gewundert, wenn er bald wieder auf eine Grenzpatrouille der Tadschiken gestoßen wäre. Umso aufrechter und selbstverständlicher schritt er dahin, wie ein Einheimischer. Noch durfte er sich sicher fühlen; erst nachdem er das Mausoleum erreicht hätte, würde seine eigene Wette gegen den Sultan beginnen. Man konnte den Kirgisen als Zyniker abtun, die Jungs, die bei ihm unter Sold standen, wußte er zu motivieren. Keine simplen Exekutionen – bewegte Ziele! Wahrscheinlich

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