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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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empört auf, gab nach einigem Hin und Her allerdings zu, daß seine »Organisation« mit dem
Bund vom Schwarzen Hammel
»in gewissen Fällen« gemeinsame Sache mache. Kaufner glaubte kein Wort. Dalir wurde immer nervöser, er griff nach Kaufners Hand, wieder nur mit den Fingern, warum sollte ein Tadschike extra hierherkommen und dann die Unwahrheit sagen?
    »Schau mir in die Augen, Herr Alexander, was siehst du da?«
    »Laß den Quatsch. Kannst du beweisen, was du sagst?«
    »Aber wir sind Brüder!«
    »Ihr geht mir auf die Nerven mit eurem bescheuerten Ariertum, kapiert?«
    Dalir (oder vielmehr sein Auftraggeber) hatte anscheinend auch damit gerechnet.

    Er konnte es beweisen. Der Barbier war Tadschike, er fragte nicht lange nach, als Dalir seinen Turban abwickelte und ihm bedeutete, den kompletten Schädel zu scheren. Rund um den Käfig des Diebes drängte sich volksfesthaft die Einwohnerschaft von Samarkand; auf die Idee, sich rasieren zu lassen, kam derzeit keiner. Sogar im Dämmer des Containers, der an Markttagen als Friseursalon diente, sah man die verschorften Stellen am Kopf des Boten sofort. Der Barbier ging mit äußerster Sorgfalt ans Werk, dennoch blutete Dalir bald aus verschiedenen Wunden, die wieder aufgerissen waren. Sobald das Kopfhaar komplett abgeschoren und der Schorf entfernt war, ließ sich in blauen Großbuchstaben auf seiner Schädeldecke lesen: 911 ABBRUCH SOFORT/NEUER EINSATZ/MORGENTHALER .
    Den Namen von Kaufners Führungsoffizier konnte hier wirklich keiner wissen, er beglaubigte jede Botschaft. Wie oft hatte Kaufner ein Lebenszeichen der Freien Feste erhofft, und jetzt, als sich der Barbier daranmachte, die alten und neuen Wunden des Boten mit Rasierwasser zu desinfizieren, jetzt war er fast enttäuscht, daß es soweit war, enttäuschter noch über das Lebenszeichen selbst. Dalir wollte wissen, was es auf seinem Kopf zu lesen gab. Im Gegenzug erzählte er, der General persönlich habe ihm die Worte mit einem glühenden Stift in die Kopfhaut geschrieben, nachdem er ihn habe kahlrasieren lassen. Anschließend habe er ihm blaue Farbe in die Wunden gerieben. Feisulla habe gewußt, daß Kaufner andernfalls nichts glauben würde; die Zustellung der Botschaft an seinen »Bruder« (und überhaupt dessen weiteres Schicksal) sei ihm ein Anliegen gewesen. Erst nach drei Wochen, als das Haar einigermaßen über die Wunden gewachsen war, habe man den Boten als falschen Scheich durch den Zaun geschleust. Auch ohne daß ihn Kaufner beleidigt hätte, gab Dalir zu, daß es gar keine Organisation gebe, für die er arbeitete (und schon gar nicht für Geld). Sondern daß er schlichtweg von Feisullas Leuten gefangengenommen worden sei. Die Alternative zur Annahme des Auftrags wäre »der Garten« gewesen.
    Kaufner blickte in den Spiegel, sah den zottigen Bart, der ihm mittlerweile gewachsen, winkte dem Barbier, ihm ebenfalls den Schädel zu scheren. Für den Fall der Fälle. Weder an einem Bart noch an einem Schopf sollte man ihn je wieder zu packen kriegen. Währenddem besah er sich das junge glatte Gesicht des Boten, und nun, ohne den Turban und aus der Distanz, die das Spiegelbild zwangsläufig schuf, erkannte er ihn: als denjenigen, den Feisulla damals an seinen Schreibtisch angekettet hatte. Der gefangengesetzte Sohn von – egal. Kaufner ließ sich nichts anmerken. Ein solcher Bote, auf Leben und Tod begnadigt, der sprach die Wahrheit.
    Und jetzt, da er seinen Auftrag erfüllt und damit sein Leben vor Feisulla gerettet hatte, wollte er es auch vor dem Sultan in Sicherheit bringen, wollte so schnell wie möglich verschwinden. Wenn er es bis an den Ostrand des »Reiches« schaffen würde und weiter bis zum Tunnel, um in den Norden zu kommen, »raus aus diesem verfluchten Tal, runter von diesen verfluchten Bergen«, dann hatte er eine gewisse Chance. Gut, daß die Chinesen mittlerweile nicht nur den Tunnel, sondern auch die gesamte Paßstraße besetzt hielten; für ihn, dessen Heimat zwischen dem Sultan und dem
Bund vom Schwarzen Hammel
neu aufgeteilt worden, war jener schmale Korridor so etwas wie das Gelobte Land. Als Beweisstück, daß er seinen Auftrag ausgeführt hatte, gab ihm Kaufner einen Zettel mit (»Waffenbrüderschaft Ali«); Dalir hatte ihn in den Tadschikendörfern am Südrand abzugeben.
    Abends wieder einmal anhaltendes Wetterleuchten über der usbekischen Ebene, über … Samarkand. So kurz vor dem Ziel ließ sich ein Kaufner indessen nicht mehr aufhalten. Sein Entschluß stand bald wieder

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