Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Schafscheiße, von Fell, altem Teppich, Feuchtigkeit, von verfaulendem Nahrungsrest und Tabak, nicht zuletzt auch von Schweiß. Kaufner inhalierte. Vor allem die Dünste, die aus den filzartigen Decken der Lagerplätze kamen, stiegen ihm zu Kopf. Sie waren aus Schaf- oder Ziegenhaar geflochten, darunter lagen dicke braune und schwarze Schafwollvliese, Kaufner roch so lange daran herum, bis ihm schwindlig wurde. Darunter wiederum Bretter, grob zusammengenagelt, von Plastikplanen bedeckt. Kaufner blickte sich um, entdeckte an den Wänden eine Gebetskette, über einem Nagel hängend, daneben einen winzigen Spiegel. Wie er näher trat, war darin ein verwahrloster Kerl zu sehen, struppig, braun, mit tiefen Kerben im Gesicht, ein anderer als der, den er kannte.
Nun kam das Mädchen herein, um eine Teekanne auf den Bollerofen zu stellen und ein Feuer darin zu entfachen. Kaum brannte das Holz, schob sie Kuhfladen nach, kaum brannten die Fladen, stank es noch strenger als zuvor, verschwanden freilich Fliegen und Bremsen. Um dem Mädchen nicht allzu aufdringlich zuzusehen, betrachtete Kaufner die rußgeschwärzten Stützbalken, las die Namen, die frühere Gäste hineingeschnitzt hatten, zum Teil mit Datum: Dalir, Umil, Shams, Killroy (mit zwei l), aber auch Gulnara, Lenara, Malika und andere Frauennamen. Das Mädchen, seinerseits Kaufner beobachtend, forderte ihn mit einer Geste auf, seinen Namen dazuzuschreiben. Sie war deutlich jünger als Shochi, hatte jedoch denselben intensiven Blick.
Erst als sie die Hütte verlassen hatte, holte Kaufner sein Messer hervor. Weil er aber plötzlich den Schäfer draußen mit seiner Frau sprechen hörte, ließ er es schnell wieder verschwinden. Gerade mal ein »K« hatte er ins Holz eingeritzt. Das Teewasser kochte. Nazardod trat ein, erkundigte sich nach dem Wohlbefinden seines Gastes, merkte an dessen verhaltener Reaktion sogleich, daß er ihm ein paar Worte, wenn nicht zur Entschuldigung, so doch zur Erklärung zukommen lassen sollte:
Ja, es liege ein Zauber auf der Hütte, zu spüren auch von ihm, obwohl er sich natürlich längst daran gewöhnt habe. Ein dunkler Zauber. Bislang habe jeder Gast schlecht darin geschlafen, Kaufner werde keine Ausnahme machen. Es liege an den Felsen, sie seien vom
Leeren Berg
und verursachten schlimme Träume. Wahrscheinlich klebe Blut daran. Schon vor Generationen sei die Hütte gebaut worden, alljährlich werde sie nach der Schneeschmelze – wie jede andere Schäferhütte – vom ganzen Dorf repariert. Er selbst habe mit den verzauberten Steinen nichts zu tun, im Gegenteil, Steine von diesen Gräbern hätte er gewiß nie verwendet. Aber solle er die Hütte deshalb abreißen? Geeignete Steine, aus denen man sie hätte wieder aufbauen können, wären in der Nähe schwer zu finden gewesen. Und die Sommerweiden seines Dorfes seien nun mal seit eh und je in jenem Tal, man könne sie nicht einfach verlegen, ohne in Konflikt mit anderen Dörfern zu geraten.
Hier oben war der Krieg noch nicht angekommen, jedenfalls für Schäfer, die sich ans Gesetz der Berge hielten. Doch die Gräber am
Leeren Berg
(es waren also wirklich deren mehrere!), wieso redete Nazardod derart offen darüber? Er schien davon auszugehen, daß jeder, der es bis zu ihm geschafft hatte, sowieso wußte, daß ebendarunter … das Objekt war. Das Objekt! Umgeben von einem Friedhof, wie’s die Säufer in Samarkand behauptet hatten, einer regelrechten Totenstadt. Der Weg dorthin? Ein Leichtes. Man könne ihn von seiner Hütte aus sehen, morgen werde er ihn Kaufner zeigen.
Längst saßen sie und tranken ihren Milchtee. Auf dem gußeisernen Kuhfladenofen kochte inzwischen eine Gemüsesuppe. Draußen hörte man Nazardods Frau hantieren und den Kindern Anweisungen geben. Von allen anderen Seiten der leis an- und abschwellende Gesang der Tiere. Der Schäfer sah im matten Licht der Benzinlampe erst recht wie der Alte im Teehaus
Blaue Kuppeln
aus, obgleich er den Mantel nun abgelegt und eine abenteuerliche Hose zum Vorschein gebracht hatte, offensichtlich aus einer US -Fahne geschneidert, vor allem aus Sternen auf blauem Grund. Als er herausbekommen hatte, daß sein Gast und er im selben Jahr geboren waren, holte er die Wodkaflasche (
Kaliber
). Seltsam, Kaufner hätte ihn viel älter geschätzt. Aber vielleicht schätzte man mittlerweile auch ihn viel älter ein, es war sein dritter Sommer im Gebirge, sein Gesicht war fast so sonnverbrannt und staubgefurcht wie das des Schäfers. Als Nazardod
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