Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
Kaufner bislang in diesem Gebirge kennengelernt hatte; vielleicht lag es daran, daß seine Sommerweiden nicht direkt im Hochplateau lagen, daß sie also … nicht zum Reich des Sultans gehörten?
    Oh, der Sultan. Nazardod kannte ihn, winkte aber gleich ab, über den wolle er nicht reden.
    »Woher weißt du dann, wie ich heiße?«
    »Na ja, da hat jemand gefragt, ob du hier warst. Ein total vermummtes Kerlchen, du hast es sicher schon mal gesehen.«
    Kaufner biß sich auf die Lippen. Nun würde es wirklich sehr bald sehr ernst werden. Der Schäfer lud ihn ein, für drei Tage sein Gast zu sein (»und das Knie vollends ausheilen zu lassen«), dann müsse Kaufner weiter, so wolle es das Gesetz der Berge. Er werde ihm die Hütte überlassen und mit Frau und Kindern bei den Tieren schlafen.
    »Hier bist du die Nacht über sicher, Ali, da geht keiner. Nicht mal ich selber.«

    Solang es noch hell war, zeigte er seinem Gast den Bach, der in einiger Entfernung zur Senke strebte. Ein Felsblock war quer hineingelegt, damit sich das Wasser darüber wie ein kleiner Wasserfall ergoß, das war die Stelle, an der man sich hätte waschen können. Auf dem Rückweg zwei barfüßige Buben, die einem Eselfohlen die Nüstern aufschlitzten, damit es mehr Luft bekomme. Zurück an den Wallanlagen der Pferche, erklärte Nazardod voll Stolz seine Herden, wies auf die farbig markierten Hörner und eingekerbten Ohren: So könne er jedes Tier seinem Besitzer zuordnen, schließlich hüte er die Herden aller fünfzehn Familien seines Dorfes. Darunter ein Schaf mit vier Hörnern. Längst habe er es opfern wollen! Aber der Imam sei der Meinung, mit seinen zwei zusätzlichen Hörnern sei kein Geringerer als der Scheitan hineingefahren; daraufhin habe man es nicht mehr gewagt, das Schaf zu schlachten.
    Zurück bei der Schäferhütte, war im Unterstand, der sich geduckt als Sommerküche daranlehnte, das Herdfeuer entfacht. Zwar waren die Pferche ohnehin mit einer durchgehend schwarzen Kotschicht bedeckt, aber sobald man die getrockneten Fladen verbrannte, gewann der allgemein vorherrschende Geruch deutlich an Schärfe. Jetzt wurde Kaufner auch durch Nazardods Frau begrüßt, wenngleich nur aus einigen Metern Entfernung. Jeder zweite ihrer Zähne war vergoldet, im Ober- wie im Unterkiefer, ein regelmäßiges Streifenmuster in Gold-Weiß. Während sie von ihrem Mann vorgestellt wurde, lächelte sie ununterbrochen, ein besonders kostbares Zebralächeln. Sofort wandte sie sich wieder der gemolkenen Milch zu; man kochte sie in einem riesigen Kessel ab, um sie anschließend in Kannen und Plastikkanister abzufüllen. Die Küche war so niedrig an die Hütte angebaut, daß man darin bloß hockend hantieren konnte. Fünf Kinder drängten sich scheu darin und davor herum, sie lehnten Kaufners Kekse stumm ab, wagten nicht einmal, untereinander zu tuscheln. Auch das Mädchen, das vorhin die Kälber, Lämmer und Zicklein zu ihren Muttertieren geschickt hatte, war darunter, nun ohne Kopftuch. Kaufner sagte Nazardod, daß es ihn an ein anderes Mädchen erinnere, der Schäfer freute sich darüber, das sei ein gutes Zeichen. Als er seine Tochter herbeirief und kurz auf sie einredete, klang sein Dialekt noch eine Spur kehliger. Das Mädchen errötete und machte einen unbeholfenen Knicks, dann durfte sie wieder ihrer Mutter helfen.
    Die Schäferhütten in den Tadschikengebirgen waren in ihrer Ausstattung aufs Allernotwendigste beschränkt, aber diese hier hätte auch die Steinklause eines Einsiedlers sein können, so karg war sie. Die Tür kaum mehr als eine Einstiegsluke in eine stockdunkle Höhle, man mußte sich tief bücken, um einzutreten. Die Höhle ein einziger Raum, an die fünf mal fünf Meter, gestampfter Boden, teilweise bedeckt von kleinen Schafwollteppichen. In seiner Mitte der Bollerofen und einer der Stützbalken; an zwei Wänden umlaufend das Mauerpodest für die Nachtlager. Nachdem der Hausherr eine kleine Benzinfunzel entfacht hatte, sah man vor allem schwarze Felsbrocken, die Fugen mit Lehm verschmiert, zwischen den Deckenbalken die Unterseite der Grassoden, mit denen das Dach belegt war. Eine Lichtluke in der Seitenwand – eher Schießscharte als Fenster. Kaufner möge sich nach Belieben einrichten, lud Nazardod aufs herzlichste ein, er selber habe noch kurz nach den Tieren zu sehen.
    Schon beim Betreten der Schäferhütte war Kaufner ein Geruch entgegengeschlagen, derart penetrant, daß er sich fast übergeben hätte. Der Geruch von getrockneter

Weitere Kostenlose Bücher