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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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herausgefunden hatte, woher sein Gast kam, wollte er die große arische Verbrüderung gleich mit einem weiteren Wodka besiegeln – er war genauso tadschikisch wie jeder andere Tadschike. Kaufner seinerseits war entschlossen, daraus seinen Vorteil zu ziehen:
    Ob er schon mal in Samarkand gewesen?
    Aber natürlich, Ali. Nazardod sah ihn mit gütig zerknitterter Miene an. Mehr wollte er dazu nicht sagen.
    Ob er schon mal von Timur gehört habe?
    Dem Bluthund? Ein heitertrauriger Blick aus grauen Augen, das war alles. Auch für ihn war Timur einer, der nichts als Unheil über die Heimat der Tadschiken gebracht hatte, keine Frage. Er würde nicht am Schutz seines Grabes interessiert sein. Ehe ihn Kaufner jedoch direkt darauf ansprechen konnte, wurde das Abendessen serviert, Schaffleisch in Schaföl. Selbstgebackenes Fladenbrot. Selbstgemachte Butter, die man mit dem Löffel aufs Brot strich. Die Gemüsesuppe vom Ofen. Gezuckerte fette Milch in Schalen. Joghurt. Nazardods Frau und die Kinder servierten. Dann setzten sie sich in die Türöffnung und sahen zu, wie die beiden miteinander aßen.

    Jede Mahlzeit in diesen Gebirgen begann mit dem rituellen Zerreißen der Brotfladen durch den Hausherrn. Gleich nach dem Gebet hatte er die Stücke auf der Decke zu verteilen, zwischen den Schüsseln und Tellern der servierten Speisen. Und bis zum Ende der Mahlzeit hatte die Sorgfalt des Gastgebers im Brotbrechen und -zuteilen zu währen; achtloses Fallenlassen von Brotresten auf die Decke galt als Vergehen; selbst das kleinste Fladenstück mußte mit dem Boden nach unten liegen. Die Spielregeln waren überall dieselben, Kaufner hielt sich daran. Gegessen wurde in bedächtiger Langsamkeit und schweigend; sofern ein Kind ermahnt werden mußte, geschah es im Flüsterton. Nur mit Kaufner redete der Schäfer in normaler Lautstärke. Die besten Fleischstücke, die er auf seinem Teller fand, ergriff er mit drei Fingern und legte sie ohne weitere Umstände auf denjenigen seines Gastes. Kaufner aß und schwieg. Mal stank das Feuer mehr, mal weniger, je nachdem, mit welcher Art Kot es gerade beheizt wurde. Kaufner hätte sich am liebsten übergeben. Regelmäßig half der
Kaliber.
    Brot wegwerfen war eine Sünde, Nazardod sammelte die Bruchstücke, auch die angebissenen, nach dem Essen ein und verpackte sie sorgfältig in einer Plastiktüte. Dann überraschte er seinen Gast mit der Frage, warum er den weiten Weg von Deutschland hierher auf sich genommen habe.
    »Weil es ein Ende haben muß mit der
Faust Gottes
, deshalb.« Kaufner hatte keine Kraft mehr zu leugnen. Solange er es im Turkestanrücken mit Tadschiken zu tun gehabt hatte, war er mit solch direkten Antworten ja meist auf der sicheren Seite gewesen. Der Kalif und jede Art von Gotteskriegertum waren den Tadschiken verhaßt; wenn sie nicht von den Russen besetzt worden wären, wer weiß, sie hätten sich vielleicht sogar auf die Seite des Westens geschlagen. Damals, als man daran noch eine Hoffnung hatte heften können.
    Auch in dieser Hinsicht machte Nazardod keine Ausnahme, da hatte sich Kaufner nicht in ihm geirrt, er war Tadschike durch und durch. Nach der markigen Antwort seines Gastes griff er sofort zum
Kaliber
, darauf wollte er trinken. Kaufner war nicht der erste, den er bewirtete, er würde nicht der letzte sein. Wer weiß, wie oft er über seine Gäste schon den Kopf geschüttelt hatte:
    »Guck mal, Ali. Selbst wenn es irgendwann ein Ende damit nähme, dann nähme eben was anderes seinen Anfang –
Der Wahre Weg
,
Das Fundament
,
Die Klare Quelle
oder wie immer es heißen wird. Du wirst doch solche Menschen nicht aus der Welt schaffen können.«
    Nazardod meinte es ernst. Er wollte seinen Gast zur Umkehr bewegen, noch sei’s dazu nicht zu spät. Und sagte ihm aufs Gesicht zu, daß er sich nur deshalb für Timur und dessen Grab interessiere, weil er es zerstören wolle. »Du bist der erste nicht, Ali, und du wirst der letzte nicht sein. Im Grunde seid ihr auch nicht besser als die von der
Faust.
«
    Der Schäfer war weit mehr als ein aufrechter Schäfer, Kaufner hatte es längst vermutet. Er wußte über alles Bescheid, hatte zu allem eine Meinung und hielt sich aus allem heraus. Gewiß hatte er noch weitere Ratschläge zu geben. Es war sehr heiß in der Hütte, Kaufner wurde zusehends müde, er hatte keine Kraft mehr, Gutgemeintes zu erörtern.
    Er wolle das Grab nicht zerstören, versicherte er.
    »Und auch den Wolfszahn nicht, den du darin vermutest?«
    »Einen

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