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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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jenen, die sich als ihre Nachfahren empfanden, galten Gesandte als unantastbar; das allein kam einer Kriegserklärung gleich. Dazu dann aber auch noch Timurs edelster Jagdfalke, mit juwelenbestickter Haube und Fessel, ein solch großes Geschenk würde Toktamisch nicht erwidern können.
    Der Khan der Goldenen Horde ließ zwei Jahre verstreichen, ehe er sich zu einer Antwort bequemte. Timur nützte die Zeit, um die unvermeidliche Auseinandersetzung vorzubereiten, indem er in Mogolistan einfiel, sodann meuternde Fürsten und aufständische Stämme reihum an den Reichsgrenzen heimsuchte, damit sie ihm während seines Kriegszuges gegen Toktamisch nicht mehr in den Rücken fallen konnten. Mühsam war das Geschäft des Welteroberers, immer aufs Neue mußte man erobern, was man längst erobert und kurz darauf wieder verloren, weil man andernorts anderes erobert hatte. Gleichzeitig mußten die Wege, die ins Feindesland führten, durch Kaufleute ausgekundschaftet, mußten Spitzel am Hof von Toktamisch eingeschleust, mußte das Grenzland zur Goldenen Horde zum militärischen Aufmarschgebiet ausgebaut werden: vor allem durch Anbau von Getreide, damit im Jahr darauf die Verproviantierung sichergestellt war. In Herbst 1390 konnte Timur eine Armee von zweihunderttausend Söldnern versammeln und mit ihr sein Winterlager bei Taschkent beziehen.
    Auch die Kundschafter von Toktamisch konnten es nicht übersehen. Anfang Dezember schickte der Khan der Goldenen Horde eine Gesandtschaft, im letzten Moment die Gnade des Teppichkusses erbittend, ein Friedensangebot und Beschwichtigungsgeschenke überbringend: eine Herde Araberhengste. Dazu seine Lieblingskonkubine, eine persische Prinzessin namens Nazira, die ihm auf seinen Kriegszügen vom eigenen Vater als Zeichen der Unterwerfung geschenkt worden. Eine Königstochter vom Glauben der Feueranbeter, mithin eine Götzendienerin, jedoch von einer Schönheit, daß die Vögel vor ihr zu Boden stürzten und das Wasser im Krug vor ihr zurückwich, aus Angst, sie zu berühren: Alles an ihr lang und schmal und blaß und fremd. Ihre Augen so rund und so blau, Timur mußte den Blick zu Boden schlagen. Er begehrte ihrer derart heftig, daß er sie gegen jede Sitte noch vor den Augen der Gesandtschaft in sein Zelt geleiten ließ.
    Ein solches Geschenk ließ sich nicht erwidern. Timur war es, der den Krieg erklären mußte, vielleicht hatte es sein Ziehsohn ja darauf angelegt gehabt. Vierzig Tage lang, berichten die Chronisten, lag Timur mit Fieber krank auf dem Lager. In Wirklichkeit lag er vierzig Nächte lang berauscht, ohne von Wein oder vergorener Stutenmilch gekostet zu haben. Als günstigste Jahreszeit für einen Kriegszug galt freilich der frühe Frühling, da waren die Flüsse noch vereist und konnten leicht überschritten werden, versank der Troß noch nicht im Schlamm der aufgetauten Wege. Timurs Feldherrn drängten. Die Sterndeuter errechneten das von Gott vorgesehene Datum des Aufbruchs. Die Befragung des Sandes brachte ein Ergebnis, das großes Heil verhieß.
    Lange Jahre hatte Timur alles getan, um diesen Krieg nicht führen zu müssen. Gegen den eigenen Ziehsohn ins Feld zu rücken kam ihn jetzt schmerzlicher an als jegliches, was er bislang hatte planen, anordnen, durchführen müssen. Und das nun auch noch als ein Frischverliebter, dem der Sinn nach diesem und jenem stand, nur nicht nach Gewaltritten, Geplänkeln, Gemetzel! Schweren Herzens schickte er Nazira nach Samarkand, nachdem er Anordnung gegeben, dort sämtliche Straßen mit Teppichen für sie auszulegen und mit Blumen zu bestreuen – im Winter, Ali, im Winter!
    Um die Schmach seines Verhaltens zu tilgen, ließ Timur die Gesandten erdrosseln und, nachdem ihnen die Haut abgezogen, mit Spreu ausstopfen: So wurden sie, auf ihre Pferde gebunden, mit beigegebener Kriegserklärung zurückgeschickt. Wenigstens konnten sie zu Hause nicht überall herumerzählen, wie lächerlich sich Timur bei Entgegennahme der Geschenke gemacht hatte!
    Die Sterndeuter hatten den 19 . Januar 1391 für einen glückverheißenden Tag befunden, also legte Timur das Band mit dem Wolfszahn um den Hals und zog in den Krieg. Der Schnee reichte den Pferden bis zur Brust, allein der Troß umfaßte fünfhundert Wagen mit eisenbeschlagenen Rädern, stell dir vor, Ali, so zogen sie in die Hungersteppe und immer weiter nach Nordwest, den Feind zu suchen. Der hielt sich versteckt, wich über den Ural und immer weiter zurück in Wälder, Sümpfe, Nebelfelder,

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