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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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ein erneuter Bruch des Bündnisses rechtens sei, sofern es einen Grund gebe, der ihn zwingend notwendig mache.
    Toktamisch, schon immer ein leidenschaftlicher Zecher, war mittlerweile zum Säufer geworden. Er pflege – so die Auskünfte der Spitzel – einen solch widernatürlich ausschweifenden Lebensstil, wie man es sonst nur aus dem dekadenten Persien kannte:
    »Der Khan ist ein lebendiges Stück Fleisch mit zwei Augen.«
    Auf seinen Kriegszügen führe er Musikanten, Schattenspieler und Sänger mit sich, von den Haupt- und Nebenfrauen, den Buhlknaben und Beischläferinnen ganz zu schweigen: ein Gefolge aus siebenhundert Personen, allein das Grund genug, ihn die Strenge des Eisens fühlen zu lassen. Timurs Gesandte überbrachten eine Einladung zum Versöhnungsfest, die Toktamisch erwartungsgemäß ausweichend beantwortete – er wäre der erste nicht gewesen, den man mitten beim Gelage in eine Wolfsgrube stürzen ließ. Weil er sich damit dem Friedenswunsch Timurs widersetzt hatte, war die Notwendigkeit des Krieges bewiesen.
    Bei den Mongolen setzte man bereits kleine Kinder auf den Rücken der Schafe, damit sie mit Pfeil und Bogen auf Ratten und Vögel schießen übten. Und dabei blieb es ein Leben lang, ständig führten sie Krieg oder bereiteten sich darauf vor: ringen, schießen, jagen, kämpfen war all ihr Trachten und Tun. Das Gesetz der Steppe. Es galt auch unter Timur noch, obwohl seine Heere weitgehend aus Söldnern und Zwangsrekrutierten bestanden. Darunter viele Frauen, verbissene Kämpferinnen sogar mit dem Schwert. Als Timur im Juni 1392 erneut zu den Waffen rief, konnten seine Feldherren fast über Nacht eine Armee ausheben, tatendurstiger und blutrünstiger noch als jene, die eineinhalb Jahre zuvor gegen Toktamisch gezogen war.
    Doch der Khan der Goldenen Horde hatte die Zeit, die Timur in Naziras Zelt verbracht, nicht ungenutzt verstreichen lassen und an einer neuen Allianz gegen seinen Ziehvater geschmiedet: mit den Mamelucken in Ägypten und den Osmanen in Anatolien, dazu zahlreichen Kleinpotentaten und Bergfürsten zwischen Kaspischem und Mittelmeer. Folglich mußte man ihn übers iranische Hochland angehen und versuchen, ihn irgendwo in den kurdischen oder kaukasischen Bergen zu fassen zu bekommen.
    Drei Jahre zog Timur durch Persien, Mesopotamien und Georgien, den Sieg im Steigbügel, den Triumph am Zügel. Diesmal kam er als strenger Verfechter der Scharia, diesmal führte er nur Vernichtungskriege. Er trank den Tau und ritt auf dem Wind, sein Wort war sein Schwert, in der Schlacht fraß er Menschenfleisch. Rauchsäulen kündigten das Herannahen seines Heeres an, Kränze an Schädelpyramiden markierten die Stationen seiner Siege. Mit aller Unerbittlichkeit hielt er sich an die Devise seines Urahns, des gewaltigen Dschingis Khan: Jede Sache muß ganz zu Ende gebracht werden.

    Ganz. Mehrfach brachen die Pferde unter Timur vor Erschöpfung zusammen, mehrfach wurde er selber krank. Doch auf seinen eigenen Körper nahm er am allerwenigsten Rücksicht, er hatte ein Ziel. Jetzt oder nie. Und wieder wich Toktamisch aus. Im April 1395 bekam ihn Timur nördlich des Kaukasus endlich zu fassen, am Fluß Terek, wo er sich den Winter über verschanzt hatte. Und wieder war ihm das Heer seines Ziehsohns, wie die Vorhut meldete, bei weitem überlegen. Timur befahl seinen Reitern, Äste von den Laubbäumen abzuschlagen und beidseits des Sattels anzubringen, damit sie beim Anrücken eine größere Staubwolke erzeugten. Des Abends, nachdem doppelt so viele Lagerfeuer entfacht waren wie sonst, machten ihm die Heerführer ihre Aufwartung, priesen seine Unbesiegbarkeit, tranken ihm zu. Ohne erkennbare Anteilnahme hob Timur die Schale mit vergorner Stutenmilch, verteilte Geschenke, damit keiner während der Schlacht überlief.
    Anderntags hielt er Heerschau in breit aufgefächerter Formation, bis zuletzt suchte er den Gegner einzuschüchtern. Da standen sie vor ihm in wohlgefügten Reihen, Eisen oben, Eisen unten, eine fünfundzwanzig Kilometer lange Schlachtordnung aus Reitern, Lanzenträgern, Bogenschützen, und huldigtem ihm, sobald er an ihnen vorbeiritt. Fürsten und Prinzen knieten vor ihren Abteilungen nieder, küßten die Erde, tranken ihm zu und trugen ihm, der Sitte gemäß, ihr gesatteltes Pferd an. Aber auch auf der Gegenseite marschierte man nach mongolischem Brauch zur Schlacht auf, auch dort ein Gewimmel an Fahnen und Standarten mit halbmond- und roßschweifgeschmückten Spitzen. Als Timurs

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