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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Feldherrn das gegnerische Heer sahen, wogte es vor ihnen wie die ganze Schar der Sterne.
    Vor wenigen Tagen war der Herr der Glückskonjunktion neunundfünfzig Jahre alt geworden. Nun stand er vor der Schlacht seines Lebens. Da schickte Toktamisch ein allerletztes Versöhnungsangebot: das Horn eines Stiers, in das er sein Blut hatte tropfen lassen, verbunden mit dem Schwur, daß kein Blut zwischen Mongolen vergossen werden solle. Sofern Timur vor den Augen der Gesandten ebenfalls einige Blutstropfen in das Horn fallen lasse, breche ewiger Friede zwischen den beiden Reichen an. Sofern Timur ablehne, lade er ihn zu einer Partie Schach in sein Zelt, damit die Schlacht am Tag darauf entbrenne.
    Es ging um die Weltherrschaft. Und um Nazira. Timur ließ sich mit der Antwort Zeit, damit sich seine Armee, Mensch und Tier, vom langen Marsch durch die Gebirge erholen konnte. Nach dem Vorbild von Dschingis Khan betete er drei Tage lang um den Sieg: Er bewies dem Himmel, daß der Khan der Goldenen Horde seinen Großmut seit Jahren hintergangen und ihm Unrecht aller Art zugefügt hatte. Daß es an der Zeit war, dem ein Ende zu setzen. Und daß ihm der Himmel dafür nicht nur all seine guten, sondern auch all seine schlechten Geister zu schicken habe, anders sei es angesichts der Übermacht nicht zu schaffen.
    Der Himmel stimmte zu, jedenfalls verkündete es Timur seinen Generälen am vierten Tag des Fastens und Flehens, und diese, jubelnd, verkündeten es dem jubelnden Heer. In einem goldenen Gefäß übersandte man Toktamisch eine frische Melone, dazu die Botschaft, der großmächtige Gebieter nehme die Einladung seines Sohnes zum Schachspiel an.
    Timur war ein begnadeter Schachspieler. Er liebte das Brett wie ein Schlachtfeld, übte darauf im Spiel, was er in der Wirklichkeit so oft auf Leben und Tod betrieb. Mehrere Schachmeister hatte er nach Samarkand geholt, er spielte auch auf runden und länglichen Brettern oder auf größeren, ja, entwarf selber weitere Figuren, mit denen er die schwarzen und weißen Verbände vermehrte: Maultier, Kamel, Giraffe, Kundschafter, Belagerungsmaschine, Wesir. Toktamisch wußte um die Liebe seines Ziehvaters zum Schachspiel, er beabsichtigte, sich mit einem Sieg auf dem tatsächlichen Schlachtfeld zu begnügen.
    Es war der 13 . April 1395 , Vorabend der Schlacht. Der Herr der Goldenen Horde empfing seinen Gegner in einem Zelt aus Pantherfellen, innen ausgeschlagen mit kostbarem Hermelin, die Pfähle in der Goldfarbe des Imperiums. Er selbst, ganz Steppenaristokrat, im Zobelpelz mit Lederkappe und Gürtel, den Zeichen des freien Mongolen. Timur, der Emporkömmling, im hellen Seidengewand, sparsam mit Goldfäden durchwirkt, die Enden seines Schnurrbarts fielen bis zum Kinn herab. Er hinkte stark, mußte von beiden Seiten gestützt werden. Als einziger Schmuck ein Rubin, der an der Spitze seines weißen Tatarenhuts leuchtete.
    Bei der Begrüßung blickte ihm Toktamisch in die Augen, trat dann sogar in seinen Schatten, das eine wie das andere eine freche Anmaßung. Außerdem sah er noch immer besser aus, geradezu ekelhaft gut. Tröstlich zu wissen, daß ihm Sitora dennoch bei jeder Gelegenheit Hörner aufsetzte; die Spitzel hatten berichtet, sie habe sich und ihrer »Beweglichkeit« inzwischen einen Namen unter Toktamischs Höflingen gemacht wie keine zuvor.
    Schon während die ersten Bauern gezogen, Springer und Läufer in Position gebracht und die Könige rochiert wurden, beklagte sich Timur über die Undankbarkeit seines Sohnes. Hatte er nicht überhaupt erst dafür gesorgt, daß Toktamisch Khan der Goldenen Horde wurde? Und hatte der nicht, kaum daß ihm das Glück zulächelte, sämtliche Verpflichtungen gegenüber seinem Gönner und Förderer vergessen?
    »Ich habe keine Hand, die zupacken kann, keinen Fuß, der laufen kann, schau auf meine Schwäche und Hilflosigkeit!« Nichtsdestoweniger habe ihm der erhabene Gott die Menschen unterworfen, damit er sie schütze und Gutes für sie tue. Wer sich jedoch nicht ans Gesetz seiner Friedensordnung halte, der werde durch die Faust Gottes höchstselbst gemaßregelt.
    »Ich schonte nicht Gold noch Edelsteine«, wies Timur schließlich auch auf die Großzügigkeit seiner Geschenke hin. Während Toktamisch bislang schweigend die Vorwürfe über sich hatte ergehen lassen, das gehörte bei solchen Anlässen dazu, wurde er jetzt lebhaft:
    »Doch das kostbarste Schmuckstück hast du mir vorenthalten«, beschwerte er sich. Als legitimer Nachfahr von

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