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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Problem.
    Noch sah man keine Leichen in den Straßen, noch gab es keine Anschläge. Ab und zu zog jemand aus, zog jemand zu, das war alles. Was die Bereinigung von Territorien betraf, kannte sich Kaufner jedoch ganz gut aus, seiner Meinung nach bestand darin das Kerngeschäft des Krieges schlechthin. Auch die weitere Entwicklung würde sich von der in Hamburg nicht wesentlich unterscheiden. Daß es immer nach dem gleichen Muster ablief!
    Seitdem hier alle dem offenen Ausbruch eines militärischen Konflikts entgegenfieberten (und nach wie vor nicht begriffen, daß die Schlacht vor ihrer Haustür längst im Gange war), fanden noch seltener Nachrichten aus dem Rest der Welt in den
Aktuellen Blickpunkt.
Alaska hatte mittlerweile formell Antrag gestellt, in den Verband der russischen Republiken aufgenommen zu werden,
das
war natürlich gemeldet worden. Daß Präsident Ping Shengli in seiner Neujahrsbotschaft die USA zur »Friedensnation« deklariert und ihren Hegemonialanspruch erneut auf die Karibik beschränkt hatte, war sogar zur Pointe eines gern erzählten Witzes geworden. Aber sonst?
    So viel war klar, mit dieser Rede hatten sich erneut aufflackernde Hoffnungen des Westens auf einen Kriegseintritt der USA zerschlagen. Auch Großbritannien würde keine Truppen schicken, auf welcher Seite hätten sie eingreifen wollen? In den meisten englischen Städten wurde ohnehin längst nach der Scharia Recht gesprochen. Der einzige, der sich zum erklärten Feind des Kalifen deklariert hatte, war Rußland und mit ihm die Panslawische Front. Sogar in den usbekischen Medien berichtete man mit einer gewissen Bewunderung, wie der Patriarch von Moskau beim russisch-orthodoxen Neujahrsfest zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen aufgerufen hatte. Daß weder Türken noch Deutschländer bei seiner »Frohen Botschaft an Gottes Kinder« inbegriffen waren, verstand sich von selbst; die usbekischen Kommentatoren hatten sie schon früher nicht ernst genommen, im Grunde wunderten sie sich, daß sie nicht längst zwischen den beiden anrückenden Großmächten aufgerieben waren. Wäre die Front im Südosten, die Österreich-Ungarn mit Waffenhilfe aus Bayern und Böhmen gegen die ungezügelten Heerscharen aus dem Balkan aufgebaut hatte, nicht so überraschend stabil gewesen, wer weiß, wie es in der Mitte Europas nach diesem Posaunenstoß ins panslawische Ohr ausgesehen hätte.
    Aber wie sah es denn aus? Von Menschenmassen, die Europa in welcher Richtung auch immer zu queren suchten – eine Mischung aus Flucht, Invasion und Völkerwanderung – hörte man, von vorrückenden oder zurückweichenden Verbänden regulärer Armeen hingegen nicht. Im Westen also nichts Neues. Immer noch stand der Kalif am Rhein; daß er seine Offensive nicht weiter fortsetzte, verbreitete fast mehr Angst als die gelegentlichen Strafkommandos seiner Generäle. Diese hatten ihr linksrheinisches Territorium durch Zerstörung der einen oder anderen Grenzstadt zwar arrondiert – Rotterdam, Straßburg, Basel –, hatten nebenbei den Europäischen Rat aufgelöst, das Europäische Parlament, die NATO -Kommandostellen und auch die UNO samt all ihren Hilfsorganisationen verjagt. Aber was der Kalif als nächstes plante, war nicht zu ersehen; in seinen seltenen Freitagsbotschaften gab sich »der Befehlshaber der Gläubigen« bescheiden, die Kette seiner Siege sei nichts weiter als die allmähliche Offenbarung einer Bestimmung, die auf umfassende und endgültige Eroberung der Welt hinauslaufe, der Gottesstaat sei nah.
    Im usbekischen Frühstücksfernsehen vermutete man ehrfurchtsvoll, seine Armeen würden die stärksten Zauberer mit sich führen und seien somit unbesiegbar, über kurz oder lang werde ihr Siegeszug fortgesetzt. Im russischen
Gazprom TV
wollte man jedoch wissen, daß der Kalif hinter den Kulissen gewaltige Probleme habe, die Arabische Liga (als politische Dachorganisation der
Faust Gottes
) zusammenzuhalten. Wie man sehe, sei sein Vormarsch ins Stocken geraten, seine Macht bereits im Schwinden. Über Deutschland war weder auf dem einen noch auf dem anderen Kanal etwas zu erfahren; im Gebiet – grosso modo – der ehemaligen und neu deklarierten DDR stand die Rote Armee, das war und blieb alles.
    Aber nur bis zum 13 . Februar. Mit dem Massaker von Köln kam Deutschland weltweit wieder in die Schlagzeilen. Schon vor Jahr und Tag hatte der Bürgermeister den goldenen Schlüssel der Stadt an den Oberbefehlshaber der arabischen Rheinbrigaden übergeben und war der Zeremonie

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