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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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waren sie sich einig: Hauptsache, es wurde dem gottlosen Treiben »drüben« endlich ein Ende gemacht. Drüben in Tadschikistan. Immer neue Gerüchte wußten von Steinigungen oder Exekutionskommandos, den Erschossenen wurden angeblich Finger abgeschnitten und Zähne ausgeschlagen, die Anführer der
Gesamtarischen Nationalen Front
brüsteten sich mit ihren Trophäensammlungen. Mit Einbruch der Dämmerung setzten die Treibjagden ein, aber ja doch, die usbekischen Brüder suchten Zuflucht in Moscheen, versteckten sich in Brunnen, Abwasserkanälen, Latrinen, würden allerdings überall gefunden, niedergemetzelt. Sicher? Sicher! Dorf um Dorf sei erst ausgeräuchert, dann eingeebnet worden. Sobald man die Fläche, auf der jahrzehnte-, jahrhundertelang ein usbekisches Dorf gestanden, zum »befreiten Gebiet« deklariert habe, spiele man darauf Fußball.
    Unglaublich.
    Aber wahr! versicherte Abdullah, der ansonsten nur von der Qualität seiner Teppiche redete.
    Das seien keine Menschen mehr. Die Brotverkäuferin Kutbija schüttelte fassungslos den Kopf. Gott möge ein Ende bereiten.
    Shodeboy drehte seine Schaschlikspieße, stocherte in der Glut, schwieg.
    Und was tat die Armee?
    Nichts! Das war es, was die Menschen am allermeisten aufbrachte. Beidseits der Grenze war man in Stellung gegangen, um einander zu belauern, vor allem um die Flüchtlinge im Land zu halten (Tadschikistan) oder aus dem Land draußen (Usbekistan). Dennoch schafften es immer wieder einzelne oder kleine Gruppen bis in die Auffanglager, sogar im Serafschantal schien es Schlupflöcher zu geben. Genaueres zu erfahren, gelang Kaufner gleichwohl nicht.
    Strenger als die Grenzen wurden die Flüchtlingslager von der Armee bewacht. Natürlich waren es Brüder, die man da vor Rache- und Vergeltungsakten schützen, aber ihrem Paß zufolge eben gleichzeitig Tadschiken, die man sicherheitshalber gefangenhalten mußte. Das Mißtrauen richtete sich auch immer offener gegen die, die seit Generationen zwar hier lebten, doch bloß auf dem Papier ihrer Pässe Usbeken waren, nicht von Herz und Gesinnung. Selbst wenn sie es neuerdings gern beteuerten. Gerade
weil
sie es so gern beteuerten!
    Von Woche zu Woche wurden es mehr, die sich nach dem Besuch der Moschee zu einer der Freitagsdemonstrationen formierten. Da man die Wohngebiete alle parzelliert hatte, konnten die verschiednen Parteien nur noch im Zentrum aufmarschieren: die Ultrareligiösen, ausgehend von der Bibi-Chanym-Moschee, in der sie ungenehmigte Massengebete abhielten, auf der Taschkentstraße; die Nationalisten am Gur-Emir; die Russenfront in der Neustadt auf dem Universitet Boulevard; die Mystiker und Verrückten rund um »ihren« Heiligen am Anfang der Taschkentstraße.
    Gott ist groß! Es lebe Timur! Heim in die Föderation! Fundamentalisten jeglicher Couleur auf der Straße, die schweigende Mehrheit auf den Bürgersteigen. Zwischen den verschiedenen Demonstrationszügen dreifache Kordons aus Polizei und Militär. Jeden Freitag das Gleiche. Anfang Februar gastierte auch wieder die Talkshow der Präsidententochter in der Stadt, man sendete live vom Registan. Zur Einstimmung des Publikums eine kurze Lesung aus »Leerer Berg« durch Studenten. Zur Nationalhymne lodernde Flammen, vor denen das Fernsehballett einen kriegerischen Mummenschanz »Der große Gebieter züchtigt einen frechen Nachbarn« aufführte. Direkt im Anschluß daran die eigentliche Talkshow, alles bestens einstudiert, die Tochter des Präsidenten mußte lediglich ab und zu ihre Beine übereinanderschlagen. Dann aber geriet die Sache aus dem Ruder: Ob die ruhmreiche usbekische Armee nur deshalb nicht den bedrängten Brüdern drüben zu Hilfe kommen dürfe, weil es »zu viele Tadschiken bei uns hier« gebe? Weil der Präsident Angst vor Rußland habe, mit dem Tadschikistan verbündet war? Weil in seinen Adern tadschikisches Blut fließe? Wie die Talkrunde solche Fragen aufzuwerfen wagte, fielen der Reihe nach die Mikrophone aus.
    Spätestens nach diesem Eklat tauchten auch in der Innenstadt überall private Sicherheitskräfte auf – die Supermärkte, Tankstellen, großen Restaurants gehörten ja ausnahmslos Samarkander Tadschiken. Für sie lag das Paradies nur mehr hinter hohen Lehmmauern, sofern das Tor verschlossen und der Querbalken von innen vorgelegt war. Wie schön der Aprikosenbaum blühte, die Vögel darin zwischerten! Selbstverständlich bin ich Usbeke, versichte Sher, Kaufner könne gern einen Blick auf seine Orden werfen, kein

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