Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
des Teppichkusses für würdig befunden wurden. Unter den zunächst moderat auftretenden Besatzern war schnell der kölsche Frohsinn in die Stadt zurückgekehrt, mit Anbruch des Karnevals auch ein öffentlich zelebrierter. Während des Rosenmontagszugs hatten die Jecken jedoch übertrieben. In der Nacht war es wohl zu Scherzen über den bosnischen Stadtkommandanten gekommen, der Pressesprecher des Kalifen sollte später von »widernatürlichem Treiben« und »gotteslästerlichem Lebenswandel« sprechen, insbesondere von Erregung öffentlichen Ärgernisses durch »zotigen Frohsinn von Buhlknaben und ihren Liebhabern in Schenken und auf Straßen«. Alle Gläubigen seien im Reich Gottes willkommen, auch Christen. Nicht hingegen die Gottlosen, die ihr Leben dem Alkohol und der Unzucht gewidmet hätten.
    Am Tag darauf – Faschingsdienstag – wurde das Kölner Dreigestirn ohne weiteres Verfahren öffentlich exekutiert. Als es daraufhin zu Tumulten kam, beschloß der Oberbefehlshaber kurzerhand, ein Exempel zu statuieren. Was genau passierte und, vor allem, wie es überhaupt in solch atemberaubender Geschwindigkeit passieren konnte, darüber wurde weltweit spekuliert. Tatsache war, daß Köln am Abend des 13 . Februar nicht mehr existierte. Zum Auftakt mußten deutsche Sprengmeister den Dom zum Einsturz bringen; bevor der Rest der Stadt durch Abwurf mehrerer N -Bomben in Schutt und Asche versank, wurde die Kölner Bevölkerung – nach Aussortieren schöner Frauen, wehrfähiger Männer, Gelehrter und Wissenschaftler – zusammengetrieben und hingerichtet. Jeder Soldat hatte Befehl, dem Oberbefehlshaber einen Kopf zu bringen, die Köpfe wurden in Hunderten von Pyramiden rund um die Stadtgrenzen aufgeschichtet, ein Schädelkranz als »ewiges Mahnmal«.
    Vom Atatürkwall am anderen, am türkischen Ufer des Rheins aus filmten die internationalen Filmteams. Sämtliche Videos, die man bei
YouTube
anklicken konnte, wurden in den usbekischen Netzen umgehend von der Zensurbehörde blockiert. Dennoch hatte sie zuvor jeder gesehen, Sher sowieso, an seiner Seite Kaufner. Wie im Mittelalter! stöhnten die Kommentatoren des Westens. Wie unter Timur! wußten die Kommentatoren des Ostens. Im
Aktuellen Blickpunkt
des Staatsfernsehens wurde der Vergleich en détail gezogen: Timur und seine Feldherren seien nicht mal die ersten gewesen, die auf ihren Welteroberungszügen solch schauerliche Schädelpyramiden hinterlassen hatten. Freilich hätten sie ihre Pyramiden am höchsten gebaut – in Isfahan zum Beispiel oder, ausgerechnet, in Bagdad. Sher war fassungslos (»Kein gläubiger Moslem würde so was tun, glaub mir, Ali, keiner«), Kaufner tat so, als fehlten ihm die Worte.
    Wenn das kein Beweis war! Die
Faust Gottes
strafte nach dem Vorbild ihres Urahns und Kriegsheiligen, nach dem Vorbild Timurs, des Eroberers! Die Freie Feste Wandsbek war in ihrer damaligen Einschätzung der Lage, das stand spätestens seit dem Massaker von Köln fest, der Entwicklung weit voraus gewesen, nun war Timur mit einem Mal auch in den Medien ein Thema. Einzig ein Wunder kann uns noch retten, hatte Kaufners Führungsoffizier im Frühjahr ’ 26 festgestellt, vor drei Jahren: Falls Ihr, sagen wir, Anschlag gelingt, wird die ganze islamische Welt den Donner hören, dann haben wir endlich wieder einen Sieg errungen, auch wenn’s nur ein symbolischer ist.
    Nur? Jeden Morgen sah Kaufner aufs Thermometer, ob es nicht endlich Frühling werden wollte. Hätte er doch bloß aufbrechen können!

    Schon Mitte März, das Navruzfest stand vor der Tür, und nach wie vor redete jeder von Köln. Dabei würde Usbekistan mit dem Massaker von Bekobod in wenigen Tagen seine eigene Greueltat erleben. Alles blühte, fast jeden Tag regnete es für ein, zwei Stunden, dann brach die Sonne durch und es wurde mittags so heiß, daß man sich gar nicht vorstellen konnte, irgendwo könne noch Schnee liegen. Blickte man zum Horizont, auf die Spitzen der Serafschankette, konnte man ihn allerdings mit bloßem Auge wahrnehmen.
    Dennoch packte Kaufner seinen Rucksack, tätigte letzte Besorgungen, verabschiedete sich reihum, sein Plan stand fest: Ebendort, wo er im Herbst vom Turkestanrücken abgestiegen und auf einen der Arme des Serafschanflusses gestoßen, wollte er über die grüne Grenze. Man hörte von Schmugglern, Schleusern oder den Flüchtlingen selbst, daß die tadschikischen Soldaten beide Augen zudrückten, sofern man Rubel für sie hatte. Von dort würde Kaufner dann aber nicht direkt

Weitere Kostenlose Bücher