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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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aufsteigen. Sobald er eventuelle Kontrollen hinter sich wüßte, mußte er sich erst einmal eine Waffe beschaffen. Der Schwarzmarkt in Pendschikent sollte dermaßen florieren, daß die, die von drüben kamen, davon wie von einer Sehenswürdigkeit berichteten.
    Die einzige, die Kaufners Vorbereitungen mit Sorge verfolgte, war Shochi. Immer aufs neue mußte er sie verscheuchen, Kaufner hatte keine Zeit mehr für böse Vorahnungen und Träume. Schon der Verkauf seiner atmungsaktiven Trekkingkleidung, der Kauf von einfachen Baumwollhemden und -hosen, wie sie Odina getragen, beflügelte ihn. Rückblickend betrachtet wollten ihm all die Jahrzehnte seines deutschdemokratischen und, ab September ’ 89 , bundesrepublikanischen Daseins als bloßes Hinleben auf die eine Tat erscheinen, der er mit Entschlossenheit dieser Tage entgegenstrebte. Kaufner hatte stets in der Überzeugung gehandelt, für die gute Sache zu arbeiten. Aber bis jetzt war er nur ein, nun ja, Agent des Freien Westens gewesen, er brannte darauf, mehr zu sein, obwohl ihm der rechte Begriff dafür fehlte: etwas wie ein Attentäter, mochte das Wort noch so sehr von der Gegenseite besetzt sein, ein Attentäter für die gerechte Sache. Als ob ihn das lange Warten, erst recht dann aber »Köln« und das anhaltende Gerede der Leute vom bevorstehenden »Untergang des Westens« so richtig heiß gemacht hätte, so besessen wie die gemacht hätte, die er bekämpfte. Nun, sofern alles gut ging, würde in seinem Fall nicht mal ein Tropfen Blut fließen, genau genommen würde man Kaufners Tat als bloße Sachbeschädigung deklarieren können. Nicht in den Augen derer, die für die
Faust Gottes
kämpften, gewiß; doch vor der restlichen Weltöffentlichkeit.
    Sein Wolfszahn allerdings wollte Blut schmecken, so ganz ohne würde es nicht zu vollbringen sein. Kaufner hatte noch nie einen Menschen getötet – als er’s gemußt hätte, damals an der Grenze, hatte er ja versagt –, aber er fühlte, daß er selbst dazu bereit war.
    Bundeskanzler Yalçin, nach seiner Wahl angetreten als Friedens- und Versöhnungskanzler, nun hatte er in seiner »Aschermittwochsrede an die Nationen« – einen Tag nach dem Massaker von Köln – dem Kalifen mit dem Abwurf von ZZ -Bomben gedroht! Da jede der kriegführenden Parteien darüber verfügte, war es stillschweigender Konsens gewesen, sie nicht zum Einsatz zu bringen. Wenn Yalçin nun den Tabubruch erwog, mußte Deutschland kurz vor der Kapitulation stehen, und wenn Deutschland kapituliert hatte, dann … gab es das alte Europa so gut wie nicht mehr. Ein Europa, das Kaufner ein Leben lang als fraglos hingenommen, sich freilich nicht weiter darum gekümmert hatte. Ein Europa, das er sich jetzt, da es in seinen Grundfesten wankte, sehnlichst zurückwünschte, um darin noch ein paar Jahre in Frieden leben zu können.
    Nein, Nationalist war Kaufner nicht. Europäer hingegen spätestens seit Anbruch des Krieges schon. Die Neuverteilung der Welt mußte verhindert werden, so viel hatte er begriffen, auch wenn die gute alte Zeit nie mehr zurückkehren würde. Als er am Montag, den 19 . März, die Warnungen vor den tadschikischen Gebirgen (anhaltender Winter, Wegelagerei, Wölfe) allesamt in den Wind schlagend, als er endlich von Jonibek Richtung Grenze gefahren wurde, fühlte er sich auf grimmige Weise großartig. Endlich wurde er zum Täter. In der Toreinfahrt, durch die sie letzten Herbst den sterbenden Odina getragen hatten, spielten zwei Alte Nardi, wie Backgammon hier hieß. Es war so warm, daß sie auf dem bloßen Boden saßen, völlig selbstvergessen dem Würfeln hingegeben. Jonibek gab Gas, Kaufner tastete nach dem Zahn in der Halsgrube. Kaum hatten sie sämtliche Straßensperren hinter sich und waren aus der Stadt draußen, baute sich eine Gewitterfront vor ihnen auf. Die Ausläufer des Turkestanrückens lagen wie schwarze Katzen geduckt unterm Horizont, man konnte Angst vor ihnen bekommen.
    Immer wieder Alleen an Maulbeerbäumen, deren Äste bereits kräftig Grün angesetzt hatten; da und dort blühte eine Kastanie, am Feldrand der Mohn. Bald bogen sie von der Hauptstraße ab, um nicht in die Kontrollposten der Armee zu geraten, nach wenigen Minuten war der silberne Mercedes schlammbespritzt. Dann ging es an Bewässerungskanälen entlang, in regelmäßigen Abständen führten hellblau gestrichene Eisenträger hinüber, natürlich geländerlos, ein Vorgeschmack aufs Gebirge. Dahinter Felder, Hecken, Dächer der Beobachtungstürme,

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