Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
stacheldrahtbewehrte Zäune. Man kam vorwärts, wenngleich kein bißchen voran.
Immer erneute und wieder erneute Abzweigungen. Auch Jonibek hatte die Orientierung längst verloren, niemand war zu sehen, den man hätte fragen können, man mußte nach dem Stand der Sonne fahren. Kaum daß man sie noch sehen konnte, die Sonne, so dunkel hatte sich der Himmel zusammengezogen. Und wo überhaupt hätte Kaufner aussteigen und seinen Weg beginnen wollen? Vor einem halben Jahr hatte alles ganz anders ausgesehen. Sich einfach aufs Geratewohl in die Büsche zu schlagen verbot sich angesichts der zahlreichen Wachtürme. Plötzlich führte der Weg über ein kleines Stauwehr, unter ihnen donnernd das Wasser des Serafschan, bereits hier auf mehrere Kanäle verteilt, die sich rund um Samarkand dann hundertfach verzweigten. Noch ehe sie ganz auf das Wehr hinaufgefahren waren, sahen sie den Schlagbaum am anderen Ufer.
Auch der Brückenwärter hatte sie gesehen, trat aus seinem Verschlag, winkte. Jonibek, sosehr er sich sonst als Neuer Usbeke gab (der sich aufgrund seines offensichtlichen Reichtums an keinerlei Recht und Gesetz zu halten hatte), das Gehorchen war ihm in seinen achtzehn Lebensjahren in Fleisch und Blut übergegangen, es gab kein Zurück. Immerhin war man mindestens vier, fünf Kilometer von der Grenze entfernt, es war nicht verboten, im eigenen Auto spazieren zu fahren.
Verboten sei’s jedoch, hier ohne Sondergenehmigung unterwegs zu sein.
Jonibek bestritt heftig, daß es ein entsprechendes Verkehrsschild irgendwo auf der Strecke gegeben habe; der Wächter fühlte sich in seiner Ehre angegriffen. Ehe Kaufner ein Geldbündel aus der Hosentasche ziehen und ihn besänftigen konnte, waren sie alle drei umringt von Soldaten. Und noch immer kein Blitz, kein Donner, kein Regen.
Nein, verboten sei hier nichts. Aber verdächtig alles. Auf der Pritsche des Mannschaftswagens, mit dem man sie zur Kaserne transportierte, saß bereits ein festgenommener »Schmuggler«. Statt mit den Neuverhafteten zu reden, zeigte er seine Handschellen. Da die Plane nicht herabgelassen war, sah man während der Fahrt weit über Busch und Tal, einmal meinte Kaufner in der Ferne ein Flüchtlingslager erkannt zu haben. Sobald sie an Bauern vorbeikamen, die dem Militärfahrzeug von ihren Feldern aus schweigend entgegengesehen hatten, grüßte der »Schmuggler«, indem er die Hände hob. Mit unbewegter Miene nahmen sie’s zur Kenntnis, keiner rief ihm etwas zu, nur die Hunde tobten wütend eine Weile neben dem Lkw her.
Das Verhör fand vor der Kaserne statt, auf der Rampe zur Einfahrt, deren Ränder von je drei Soldaten besetzt wurden. Sobald Kaufner von der Ladefläche gesprungen war, brachten sie ihre Gewehre hüfthoch in Anschlag. Der »Schmuggler« wurde ohne weitere Umstände durch eine kleine Tür im Tor abgeführt. Jonibek blieb in respektvollem Abstand stehen, keiner interessierte sich für ihn, desgleichen der Brückenwärter. Dann wurde das gesamte Tor seitlich aufgeschoben, einer mit Höckernase und nach vorn aufgestülpten Nasenflügeln trat grußlos auf den Plan, das Tor wurde hinter ihm geschlossen. Aus seinen Augen drang eine intensive Dunkelheit, darunter dunkle Augenringe, das olivschimmernde Gesicht eher schmal, wirres schwarzes Haar.
Wenn das kein Armenier ist, dachte Kaufner, ein Armenier als usbekischer Kasernenkommandant. Daß er es mit einem Major zu tun bekommen würde, hatte er längst erfaßt. Kaufner gönnte sich das Vergnügen und nahm Haltung an, selber war er nur Hauptfeldwebel gewesen, seit seiner Pensionierung immerhin noch Hauptfeldwebel d.R. Ausführlich wurde er begutachtet. Ein Rabenschwarm kreiste krächzend über der Szene, fiel schließlich hinter Kaufners Rücken in einem Feld ein. Eine Weile hörte man nur die Überlandleitung, sie zwitscherte wie ein Schwarm Vögel.
»Gamburg?« Der Major hatte Kaufners Paß so lange und auf allen Seiten studiert, wie es in diesem Lande üblich.
Kaufner nickte.
»Immerhin nicht Köln.«
Kaufner lächelte. Dann das übliche Woher, Wohin, Warum. Ob sich nicht bis zu ihm herumgesprochen hätte, daß sich gerade etwas Feines zusammenbraue? Selbst der Chinese habe seine Truppen zusammengezogen, der Russe stünde sowieso schon in Kirgistan, und beim Tadschiken nebenan sei mindestens der Teufel los. Da dürfe man doch wohl ein bißchen wachsam sein?
Kaufner nickte. Stellte sich als Naturburschen dar, als Freund der Berge, und immer in seinem tadschikusbekischen
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