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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Sie wollen rein, können Sie mir das erklären?«
    Kaufner gab sich als Naturbursche, als Freund der Berge, und immer in seinem tadschikusbekischen Kauderwelsch, das ihm auch hier sogleich Sympathien brachte. Tadschikistan sei ein schönes Land, es habe weit höhere Berge zu bieten als Usbekistan.
    Weiß Gott. Der Offizier glaubte Kaufner zwar kein Wort, hatte aber Sympathien für die Deutschen (»kaputt«, »Schlagbaum«, »Geil Gitler«), obendrein den schönen Abziehadler auf der Schreibtischplatte. Er rief einen seiner Leute aus dem Vorzimmer, um Kaufner einen Stempel in den Paß zu schlagen, die Unterschrift dazuzusetzen und das Datum; mit dem Finger zeigte er genau, wo und wie, ein Riesenspektakel, das die dreifache Zeit beanspruchte, als hätte er selber den Vermerk gemacht. Kaufner war drüben.

    Erwartet wurde er von einem Taxifahrer, der sich als »Jackie huflich« vorstellte, »Jackie gentil, Jackie gentleman«:
    »Man tojikija medonam, men o’zbektschani bilaman, ja gavarju po-russki, ich sprechen Deutsch, I speak Pepsi-Cola, I speak China, miau-miau.«
    Das sollte ein Witz sein. Weil Kaufner nicht reagierte, legte Jackie noch einen drauf: »Ich hab’ von Ihnen geträumt. Deshalb weiß ich ja, daß Sie heute kommen. Sie sind spät dran.«
    Jackie lachte. Sein Fahrgast blickte ihn so unvermittelt an, daß er erschrocken schwieg. In den Kurven schaukelte sein Wolga weich wie ein Schiff, Kaufner fragte sich, ob er die Szene gerade eben nur geträumt hatte. Am Innenspiegel baumelte als Glücksbringer das Bild eines Hundertdollarscheins auf Pappe, dazu ein kleines Kupferherz. Als Jackie in Erfahrung gebracht hatte, daß er einen Deutschen chauffierte, lachte er wieder, wies auf Kaufners, dann auf seine eigenen Augen. Ob Kaufner von dem Selbstmordattentat in der Grenzstation von Chaynak gehört habe? Es dauerte eine Weile, um herauszufinden, daß Chaynak nichts weiter als ein anderer Name für Oybek war. Daß es auf der usbekischen Seite der Grenze vollkommen friedlich zugehe, konnte Jackie allerdings nicht glauben:
    »Die wollen uns doch angreifen?«
    Kaufner beteuerte, die Usbeken vermuteten das Gleiche von den Tadschiken, insbesondere nach Einmarsch der Russen. Wo diese überhaupt seien?
    Na, überall! Nein, von der Straße aus könne man ihre Camps nicht sehen. Jackie erzählte ungern von den Russen. Viel lieber erzählte er von der Fahrt eines Kollegen, bei der alle, ausnahmslos alle, angeschnallt waren – was dermaßen verdächtig gewirkt habe, daß der Wagen an der nächstbesten Straßensperre herausgewunken und gefilzt worden. Gleichzeitig überholte er einen galoppierenden Reiter, kurz darauf kam ihnen ein Lada entgegen: Dort, wo ansonsten die Rückbank war, war ein Kalb, es streckte den Kopf aus dem Seitenfenster heraus. Kaufner kratzte sich übertrieben heftig, er träumte nicht. Kurz darauf überholten sie ein altes russisches Ural-Motorrad, auf der Plattform, die anstelle des Beifahrersitzes montiert war, wurde ein Yak transportiert, der Schwanz in Fahrtrichtung.
    In Khujand standen Marschrutkas Richtung Süden; sobald der Wagen überfüllt war, ging es weiter bis Istaravshan. Abgesehen vom einen oder anderen verkohlten Gehöft, vom einen oder anderen ausgebrannten Autowrack kein Hinweis auf den Bürgerkrieg, der das Land seit einem halben Jahr heimsuchte. Bis zum Ende des Tages hatte sich der Turkestanrücken immer mächtiger als Horizont in Szene gesetzt. Hatte sich Kaufner ungezählte Male mit streng riechenden »arischen« Mitreisenden verbrüdert; von Scharmützeln an der russisch-chinesischen Grenze erzählen lassen, »irgendwo hinter der Mongolei«; von einem Aufstand der Tadschiken in Samarkand, der blutig niedergeschlagen worden; vom massenhaften Abtransport tadschikischer Bewohner auch aus den anderen usbekischen Städten; von den Lagern in der Roten Wüste. Kaufner hatte bald aufgehört zu widersprechen. Am Straßenrand immer wieder Schlangen an Frauen, die mit Eimern und Kanistern, ja, sogar mit Plastiktüten vor den Wasserstellen anstanden; wenn die Marschrutka vorüberfuhr, wandten sie ihr Gesicht ab. Fast an jeder größeren Straßenkreuzung Männer, die, ihr Werkzeug in der Hand und wenig Hoffnung im Gesicht, auf Auftraggeber warteten. Bis zur großen Gazpromkrise vor ein paar Jahren hätten sie alle in Moskau gearbeitet, erklärten die Mitreisenden; nun konnte ihnen nur noch ein Wunder helfen oder der Krieg.
    Anderntags ging es in aller Frühe in einem Mitsubishi Pajero weiter;

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