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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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gepanzerte Erkundungs- und Patrouillenfahrzeuge der Russen. Dann ein Zeltlager, in dem die Rotarmisten Anwerbung und Musterung von Rekruten betrieben. Die Arbeitslosen standen Schlange, lauter junge Kerle, aufgeregtes Gelächter, fast noch so hell und klar wie das von Kindern. Direkt dahinter, am Stadtrand von Pendschikent, die Straßensperre. Kaufner hatte ein paar wenige Schritte nicht aufgepaßt, schon gab es kein Zurück mehr.
    Wie ihm das Blut durch den Kopf rauschte, wie’s ihm in den Schläfen klopfte! Seinen Blick für Rang- und Hoheitsabzeichen an Schulterstücken, Kragenspiegeln, Schirmmützen behielt er aber selbst jetzt noch; als ihn mehrere Soldaten gleichzeitig herbeiwinkten, entschied er sich blitzschnell gegen den russischen Offizier und für den tadschikischen Gefreiten. Mit Einheimischen konnte man immer reden, sie wollten ihre Ruhe und ein Trinkgeld, beides konnte Kaufner bieten. Doch dieser hier? Kaum hatte er ihm seinen Paß in die Hand gedrückt, erhob sich ein ungebührlicher Lärm, immer mehr Soldaten eilten, nach der Ursache zu sehen. Der Gefreite blieb immerhin stehen und auf Posten, hatte Kaufner aber bereits völlig vergessen.
    Die Ursache war eine bizarr anmutende Prozession, die vom Fluß her auf die Straßensperre zuhielt. An die zwei Dutzend Männer, singend, grölend, rülpsend, pöbelnd, lachend, in weißen Filz gekleidet und hennarot gefärbte Tierfelle. Einer ging vorneweg und schlug die Trommel. Wie sie näher herangekommen waren, sah man, daß sie sich Bart, Haare und Augenbrauen abrasiert hatten, schon das für einen gläubigen Muslim anstößig genug. Manche trugen Mützen mit Filzhörnern, an denen Glöckchen hingen; an den Stricken, mit denen sich andere gegürtet, baumelten Knochen; die oberen Schneidezähne waren bei allen ausgeschlagen. Ein scheußlicher Anblick, der Offizier brauchte jeden seiner Männer, um sie zum Stehen und zur Räson zu bringen.
    Anscheinend nahm man es mit dem Religionsverbot nicht mehr so genau, oder es gab nicht mehr genügend, die es genau nahmen. Warum sonst hätten Wanderderwische, noch dazu solch offensichtliche Trunkenbolde, unbehelligt ihrer Wege gehen dürfen? Als der wachhabende Offizier ihre Ausweise sehen wollte, kreischten sie empört auf, er wisse wohl nicht, mit wem er es zu tun habe? Sie seien gekommen, die Urbotschaften der Weisheit auch in dieser Stadt zu verkünden, die versammelte Haarspalterei der Schriftgelehrten sei eine Handvoll Staub dagegen.
    Der Gefreite war so gebannt vom Geschehen, daß er sich widerstandslos den Paß aus den Händen ziehen ließ; bevor er sich den Derwischen ganz zuwandte, verkündete er betont laut, wie er es gelernt hatte, Kaufners Papiere seien in Ordnung. Einer der Derwische kündigte weit lauter an, er werde den Raum zusammenfalten, werde alle Lebewesen im Umkreis zum Gehorsam zwingen und weitere Wunder wirken, später. Auf der Rückseite des Ereignisses verschwand Kaufner gemessenen Schrittes.
    Pendschikent war von Flüchtlingen überfüllt. Trauben an Frauen vor den wenigen Geschäften, die es noch gab; Horden kleiner Jungs in den Springbrunnen; Rudel an halbwilden Hunden im Abfall; Trupps an Soldaten überall dort, wo es ernst und wichtig zugehen sollte. Erst hier fiel Kaufner auf, wie geordnet, ja, gesittet es in Samarkand trotz allem zugegangen war. In den Schaschlikrestaurants ausschließlich Russen, ihre Biervorräte hatten sie mitgebracht und ihre Lieder. Am späten Nachmittag wurde es überall schlagartig leerer. Während die ersten Tropfen eines warmen Sommerregens niedergingen (ohne daß der Regen dann richtig einsetzen wollte), fuhr ein Militärjeep in Schrittgeschwindigkeit durch die Straßen, über Lautsprecher wurde der baldige Anbruch der Ausgangssperre verkündet. Kaufner konnte von Glück sagen, daß er noch rechtzeitig eine Bleibe in einem kleinen Hotel fand, es war ausschließlich von dubiosen Gestalten bevölkert und unverschämt teuer, aber er hatte keine Wahl. Kurz darauf hörte man das Kettengeräusch von Panzern, sah man auf den Dächern die Scharfschützen in Position gehen, wahrscheinlich dieselben, die sich’s bis eben in den Schaschlikrestaurants hatten gutgehen lassen.
    Beim Abendessen war Kaufner mit dem Betreiber des seltsamen Hotels alleine, erst mußte dessen Sohn etwas auf Deutsch vorsingen, daraufhin die Enkelin. Man lagerte auf dem Teppich; damit nichts zu Boden tropfen konnte, schlürfte der Hausherr den Saft des Tomatensalats vom Teller, ehe er ihn Kaufner

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