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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Weg in ein Bachbett verwandelt. Mittendrin der weiße Mercedes 600 , wahrscheinlich hatte er bei einem Überholmanöver aufgesetzt. Alle anderen fuhren vorsichtig daran vorbei. Wenige hundert Meter dahinter der Tunnel, das Wasser schoß aus der Einfahrt, bildete riesige Wirbel, für die meisten war die Fahrt hier erst einmal zu Ende. Nicht für einen Mitsubishi Pajero, obwohl auch der Tunnel komplett geflutet blieb, vielleicht ein Rohrbruch oder die Sintflut, bald waren sie auf der Strecke fast völlig allein.
    Der Tunnel wollte nicht aufhören. An manchen Stellen tropfte es so stark von oben, daß man meinte, es regne; an anderen sprudelte es von unten, bildete regelrechte Seen mit hochaufgewölbten Ufern, von denen man sich langsam schräg hinabrollen ließ. Am Rande der Seen öfters Maschinen, dazu Arbeiter in Ölzeug, die unbeirrt ihrer Tätigkeit nachgingen. Preßlufthämmern, mal nah, mal fern; verzerrte Echos von Stimmen und Motoren; immer weniger Lichter, die an den Tunnelwänden angebracht waren. Im Kegel der Scheinwerfer linksrechts abzweigende Stollen und Gänge, ein vielfach verästeltes Wegesystem mitten im Berg, teilweise sogar mit Schienen. Wenn man kurz anhielt, um Tiefen und Untiefen einer überfluteten Passage zu erkunden, schien es, als dringe der anhaltende Baulärm vor allem aus ebenjenen Nebenstollen.
    Der Gedanke: So würde es jetzt bis zum Ende des Lebens weitergehen. Immer tiefer in den Berg hinein. Nie wieder hinaus.
    Und dann ging es doch plötzlich ins Freie, von einer Dunkelheit in die nächste. An den Serpentinen bergab die Zeltlager der Chinesen, man sah sie schemenhaft im Scheinwerferlicht hantieren. Anscheinend gingen ihre Arbeiten jenseits von Tageszeiten und politisch-militärischen Entwicklungen weiter, sie interessierten sich auch nicht für die Fahrzeuge, die es bis hierher geschafft hatten. Wieder und wieder nickte Kaufner kurz ein, am Fuß des Berges setzte ihn der Fahrer wie vereinbart ab. Seine Fahrt ging weiter nach Süden, nach Dushanbe, Kaufner hingegen mußte nach Westen. Am Straßenrand ein Schild »Samarkand 150 km«. Sobald der Mitsubishi von der Ferne verschluckt war, hörte man das Rauschen des Serafschanflusses. Kaufner tastete nach seinem Wolfszahn. Er war drüben.

    Bis Pendschikent waren es jetzt nicht mal mehr hundert Kilometer. Da es auf der Strecke Straßensperren der Russen geben sollte, ging Kaufner zu Fuß, abseits der Hauptstrecke, sofern er sich nicht von Bauern ein kurzes Stück mitnehmen ließ. Bloß jetzt nicht noch abgefangen und aufgehalten werden.
    Von den Russen hatte Kaufner nichts Gutes vernommen. Immer wieder kam es zu Anschlägen auf ihre Konvois oder Camps, dann erschossen sie wahllos Zivilisten (»Terroristen«), um Exempel zu statuieren. Solcherart kontrollierten sie sämtliche Hauptverbindungswege, auch die Landstraße nach Pendschikent. In den Bergen, nein, schon in den Nebentälern, genau genommen bereits dort, wo man von der Straße abbog, herrschte dagegen … dieser dort, jener da (Clanchefs, Kriegsherren,
Der Bund vom Schwarzen Hammel
und wie sie heißen mochten), nachts jedoch überall die
Faust Gottes.
Zu sehen war davon nichts. Sondern die üblichen gelben Gasrohre entlang der Wege, mal dicker, mal dünner, an Zufahrten zu Äckern und Feldern kurz in der Erde verschwindend oder in Form von Toren darüber hinwegführend. In den Straßen der Dörfer Motorräder mit Satteldecken und Satteltaschen. Frauen mit bunten Socken oder Netzsstrumpffüßlingen in Plastikschlappen. Kinder, die Fladenbrote verkauften oder salzigsaure Käsekugeln. Nirgendwo Männer.
    Alles ein paar Tage lang wie in Usbekistan, nur ärmer. Der graugrünbraune Faltenwurf des Serafschangebirges links; hinter einem feinen Staubschleier verborgen, manchmal ein bloßer Schattenriß, der Turkestanrücken rechts. Als breites graues Band dazwischen, träg mäandernd, der Serafschanfluß. Auf den Uferfelsen Frauen, Teppiche waschend. Am Ende einer silbergrün schillernden Pappelallee entlang eines Bewässerungskanals ein riesiges Sonnenblumenfeld, dahinter das erste rauchende Dorf. Auf halbem Weg dorthin, an einem Telegraphenmasten baumelnd, von Krähen umflattert, die Reste eines Erhängten. Je näher man Pendschikent kam, desto unübersehbarer die Mahnmale dessen, was seit einem halben Jahr hier stattfand. Nichtsdestoweniger auch immer wieder Bettgestelle mitten in Gemüsefeldern, darauf schlafende Menschen, als herrsche tiefster Frieden. Auf der Hauptstraße ab und zu

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