Samstags, wenn Krieg ist
Obwohl sie längst weiß, dass auch diese Geschichte schon wieder vorbei ist, wird sie sich erst von ihm trennen, wenn der nächste Kandidat in Aussicht ist.
Wolf zieht seine Kampfstiefel an. Jetzt soll er nur kommen. Ruckzuck ist die Fresse dick.
„Nur ein Wort, Mama“, sagt er, “ein Wort von dir genügt.“
„Geh, Wolfi, bevor er aus der Küche kommt. Er ist jetzt stinksauer. Du hast ihm sehr weh getan.“
„Hoffentlich.“
17
Siggi schlägt Yogi ein Wettrennen vor. Yogi lacht. Das hat er gerne. Siggi sorgt dafür, dass sein Vorsprung nie zu groß ist. Immer so, dass das Rennen spannend für Yogi ist. Er lässt ihn auf knapp einen Meter herankommen. Bis Yogi schon mit den Armen rudert, um ihn zu fassen. Dann schreitet er wieder weiter aus. Wenn Siggi vorläuft, kann er wenigstens die Richtung bestimmen und muss nicht an Yogi herumzerren.
Der Friedhof zieht Siggi magisch an. Er will nicht wirklich hin. Aber er möchte die Zerstörung sehen. Fast ist es, als müsste er sich vergewissern, dass es tatsächlich geschehen ist. Auf gar keinen Fall wird er den Friedhof betreten. Nein. Das nicht. Aber von oben, vom Hügel, vom Waldrand, kann man ihn gut überblicken.
Dorthin läuft er nun. Er muss sich unauffällig verhalten. Er kennt den Spruch vom Täter, den es an den Ort der Tat zurückführt. Aber wer wird ihn verdächtigen? Er spielt sonntagmorgens mit seinem schwachsinnigen Bruder am Waldrand. Ist er nicht nett? Ein Herzchen, eine Seele von Mensch.
Plötzlich will Yogi nicht weiter. Er bleibt stehen, setzt sich in die Hocke und stößt unverständliche Laute aus. Siggi kommt nicht darauf, dass es Angst sein könnte. Angst? Wovor? Hier ist nichts. Aber wenn Yogi Stimmen hört, wie sein Therapeut sagt, dann sieht er vielleicht auch Dinge, die nicht da sind. Drachen. Feuerwände. Gespenster.
Siggi nennt den Therapeuten lieber Arzt. Arzt ist ein gutes, altes, deutsches Wort, findet er. Therapeut klingt so ausländisch. Irgendwie fremd. Noch etwas, das Siggi nicht versteht und ihm Angst macht. Ein Arzt schient einen gebrochenen Arm, entfernt einen entzündeten Blinddarm. Das ist etwas Solides. Handwerk. Therapeuten sehen betroffen aus, wühlen in der Seele herum und wissen nicht weiter.
Siggi will Yogi weiterziehen, doch Yogi legt sich lang auf die Straße, um es zu verhindern.
Dann eben nicht, denkt Siggi. So wichtig ist es ja nicht. Immerhin treffen wir uns heute noch im Steinbruch. Wir probieren den Sprengstoff aus. Endlich. Die Zeit des Wartens ist vorbei. Die Zeit des Kampfes hat begonnen.
Als Siggi und Yogi nach Hause kommen, steht das Essen schon auf dem Tisch. Punkt 13 Uhr. Sie essen jeden Sonntag um Punkt 13 Uhr.
Die Regierung könnte gestürzt werden oder ein Flugzeug in der Nachbarschaft abschmieren, bei uns würde um Punkt 13 Uhr die Vorsuppe ausgelöffelt, denkt Siggi. Keine Minute später.
„Wenn die Dinge im Kleinen erst durcheinandergeraten, funktionieren sie auch im Großen nicht mehr“, sagt Schmidtmüller. Er bräuchte diesen Satz nicht mehr ganz auszusprechen. Die ersten paar Buchstaben reichen schon oder auch nur der dazu übliche Gesichtsausdruck. Er hat kein Gesicht. Er macht höchstens eins.
Früher, als er klein war, dachte Siggi, dass sein Vater abends ins Schlafzimmer geht und sich die Maske abnimmt. Er glaubte nie, das richtige Gesicht seines Vaters zu sehen. Da musste noch eins sein. Das richtige. Das eigentliche. Das unverstellte. Einmal hat Siggi seinem Pa durchs Schlüsselloch beim Ausziehen zugesehen. Er war nicht einmal angemeckert worden. Vater hat ihm nur gesagt, er solle das nicht wieder tun. So etwas gehöre sich nicht.
Frau Schmidtmüller ist geschafft. Die Esszimmeruhr, die immer genau geht, zeigt 13 Uhr und Renate ist noch nicht da. Sie hätte schon längst bei diesen Italienern angerufen, wenn ihr das nicht so peinlich wäre.
Die Nummer von der Pizzeria und der Privatwohnung der Familie Oliverio hat sie aus dem Telefonbuch gesucht. Die Privatnummer ist unterstrichen. Dahinter steht Gino . Es ist Renates Handschrift. Ganz eindeutig.
Elke Schmidtmüller bittet ihren Sohn Siggi, es für sie zu tun.
„Was soll ich denn sagen?“, klagt sie. „Entschuldigen Sie, aber hat meine Tochter heute Nacht vielleicht bei Ihnen geschlafen?“
Jetzt hat sie wieder diesen Keiner-versteht-mich-Blick. Aber Siggi winkt ab. „Ich rede nicht mit Itakern.“
Frau Schmidtmüller guckt verständnislos.
18
Wolf steht vor Schmidtmüllers Haus. Er zögert, bevor er klingelt.
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