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Samstags, wenn Krieg ist

Samstags, wenn Krieg ist

Titel: Samstags, wenn Krieg ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wolf
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Steinbruch fällt Geröll herab. Da haben sich Stücke gelöst, aber nicht vom Echo. Dort verstecken sich zwei junge Männer und beobachten mit ihrem Fernglas keineswegs die Vogelwelt.
    Wolf wiegt den Sprengsatz noch einmal in der Hand. Das kurze Eisenrohr ist fest. Isolierband hält alles zusammen. Er schiebt das Ding in eine Felsspalte.
    „Um Punkt fünfzehn Uhr fünfundvierzig wird es einen Riesenknall geben. Also weg. Verteilen und volle Deckung!“
    Sie rennen alle in die gleiche Richtung.
    „Das mit dem Verteilen müssen wir auch noch üben“, meckert Wolf, als sie sich abgehetzt dichtgedrängt hinter einem Felsblock treffen. Er will sich diesen erhabenen Moment des Triumphes auf keinen Fall nehmen lassen. Er guckt auf die Uhr. „Fünfzehn Uhr sechsunddreißig.“
    „Stimmt.“
    „Schnauze.“
    „Stellt euch vor, das da ist das Asylantenheim.“
    „Neger sollen ja besonders gut brennen.“
    „Hoffentlich geht das Ding überhaupt hoch.“
    „Schnauze, hab ich gesagt.“
    Sie warten. Niemand spricht mehr.
    Zum ersten Mal im Leben hört Siggi bewusst seine Armbanduhr ticken. Verwundert sieht er auf das Zifferblatt. Bisher hatte er geglaubt, das Ding arbeite lautlos. Er spürt ein Kribbeln auf der Haut und atmet aus.
    Wolf nimmt seinen Herzschlag wahr. Dazu braucht er keine Hand auf die Brust zu legen. Er fühlt, wie es in ihm pocht und das Blut durch die Adern pumpt.
    Max berührt mit den Fingerkuppen sein Hitlerbärtchen.
    Peter hat eine Zigarette im Mund, aber vergessen, sie anzuzünden.
    Dieter kann noch gar nicht glauben, dass es gleich wirklich passiert. Ich bin dabei, denkt er, ich bin dabei.
    Sonst geschehen die Dinge in der Welt ohne ihn. Ob es ihn gibt oder nicht, scheint ohne Belang. Niemand fragt ihn um seine Meinung. Niemand braucht ihn. Er ist überflüssig. Sein Lebensgefühl reduzierte sich bisher darauf, im Weg zu sein, egal, was er tut. Seit er sich Wolf angeschlossen hat, weiß er, wie schön das sein kann: zu stören. Ab jetzt werden sie überall stören. Unüberhörbar. Laut.
    Jürgen muss vor Aufregung pinkeln. Er verkneift es sich. Mit jeder Sekunde steigt der Druck in der Blase.
    Noch eine Minute.
    Siggi kann den Blick nicht von der Felsspalte wenden. Dort tickt die Bombe. Wenn sie wirklich funktioniert, wird aus dem Cowboy- und Indianerspiel Ernst.
    Dann sind sie keine Kinder mehr.
    Dann beginnt der richtige Krieg.
    Noch vierzig Sekunden.
    Noch dreißig.
    Wolf hält die Luft an.
    Siggi hat das Gefühl, jetzt, in den nächsten Sekunden, erwachsen zu werden. Wenn die Bombe nicht hochgeht, wird er immer ein Kind bleiben. Abhängig. Brav. Angepasst. Einer, der belehrt wird. Hilflos auf die Gunst der Erwachsenen angewiesen.
    Noch zehn Sekunden.
    Drei.
    Sie ziehen die Köpfe ein. Volle Deckung.
    „Jetzt!“, sagt Wolf.
    Nichts passiert.
    Niemand wagt, den anderen ins Gesicht zu sehen.
    Siggi hört die Uhr ticken.
    Jürgen will sagen: „Na, das war ja wohl nichts!“ Aber er traut sich nicht. Er hat Angst vor Wolfs Wut. Der wird gleich ein Ventil brauchen. Einen Schuldigen.
    Jürgen Brück war schon zu oft in seinem Leben Prügelknabe. Er will jetzt lieber austeilen als einstecken. Er weiß: der erste, der jetzt eine Bemerkung macht, ist der Arsch. Alle anderen sind damit fein raus und werden mit auf dem armen Würstchen herumhacken, um sich selbst freizusprechen.
    Noch wagt sich niemand aus der Deckung. Es wäre wie ein Verrat an Wolf. Er erhebt sich zuerst.
    Siggi schaut jetzt Peter an. Sie gehen gemeinsam aus den Knien hoch. Dann Max, Dieter und zuletzt Jürgen.
    In dem Moment zerreißt eine gewaltige Detonation den Berg. Siggi spürt die Druckwelle wie einen plötzlichen scharfen Wind. Ein kalter Sturm, der aus dem Felsen geboren wird und einen Steinregen erbricht.
    Es hagelt Staub und Steine. Sie rücken dicht zusammen, schützen ihre Körper mit hochgereckten Armen und schließen die Augen. Unter ihren Füßen bebt es.
    Das Prasseln der Steine hört nicht auf. Dieter kriegt einen ins Kreuz. Jürgen ein faustdickes Stück Lehm ans Ohr.
    Peter zuckt zusammen wie von einem Kugelhagel getroffen. Doch bei ihm sind es nur die Nerven.
    Dann ist es plötzlich sehr still. Nicht einmal mehr ein Vogelzwitschern. Kein Uhrticken. Kein Atmen. Entweder saugt ein großes Nichts alle Geräusche auf oder ihre Trommelfelle sind vom Lärm der Detonation zu gestresst, um solch sanfte Töne wahrzunehmen.
    Sie sind über das Ausmaß der Zerstörung erschrocken. Bisher haben sie höchstens mal

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