Samstags, wenn Krieg ist
erscheinen und abends als letzter die Halle fegen, denn Peter weiß, dass von vier Auszubildenden höchstens einer übernommen wird, und der möchte er sein.
Dieter Koslowski wird brav die Stellenanzeigen studieren und wenn gar nichts läuft, bei Wotan kellnern.
Max Fischer wird in der Gärtnerei stumm seine Arbeit machen, ganz hinten im Gewächshaus, weil man ihn mit seinem Hitlerbärtchen nicht an die Kundschaft lässt. Seine Chefin befürchtet, er könnte die Leute abschrecken. Er vermutet, dass sie Jüdin ist. Sie hat so eine Hakennase und sein Hitlerbärtchen regt sie unheimlich auf.
Jürgen Brück wird weiter für den Hauptschulabschluss büffeln, den er nachmachen will und gleichzeitig seine Zeit im Berufsvorbereitungsjahr absitzen. Vom letzten Jahrgang haben hinterher sieben eine Stelle bekommen. Er wird garantiert nicht dabei sein.
Er will zum Bund. Lebenslänglich am besten. Dort kann er immer noch eine Lehre machen. Außerdem – die Armee sorgt für ihre Leute. Aber die Armee will ihn nicht ohne Hauptschulabschluss.
Wolf Kleinhaupt will ganz für seine Mutter da sein, um ihr zu beweisen, dass sie gar keinen Kerl braucht. Sie hat doch ihn.
Das alles werden sie tun. Bis Samstag, wenn wieder Krieg ist.
20
Yogi hat die merkwürdige Angewohnheit, manchmal die rechte Wange nach innen zu ziehen und darauf herumzukauen. Er knabbert sie an wie die Schale eines großen, verbotenen Apfels. Sein Gesicht bekommt dadurch etwas Asymmetrisches. Er selbst merkt den Schmerz nicht, aber wenn er lacht, tropft ihm das Blut aus dem Mund und die Zähne sind rot.
Yogi malt mit Buntstiften. Sein Kopf liegt dabei auf dem Papier. Aus seinem Mundwinkel läuft ein zäher, blutroter Speichelfaden.
Elke Schmidtmüller knallt den Hörer auf.
„So eine Unverschämtheit!“
„Was hat sie denn gesagt?“, fragt ihr Mann und sieht sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er findet es ungehörig, einfach so aufzulegen. Immerhin hatte sie einen Polizeibeamten am Apparat.
„Wenn sie alle fünfzehnjährigen Mädchen suchen wollten, die samstagnachts nicht nach Hause kommen, müssten sie die Armee einsetzen.“
Jetzt versteht Schmidtmüller ihre Reaktion. Indirekt stellt dieser Beamte seine Tochter in eine Reihe mit all den Discoflittchen, die am Wochenende von Bett zu Bett hopsen.
Er schüttelt seine Finger, als ob er in etwas Klebriges gegriffen hätte. Dann schimpft er mit Blick auf Yogi: „Der kaut schon wieder.“
Mit einem Schritt ist Frau Schmidtmüller da und gibt Yogi einen Klaps.
„Hör auf!“
„Er blutet“, stellt Josef Schmidtmüller fest und seine Stimme hat einen vorwurfsvollen Klang.
Siggi steht mit aufgeblähter Brust zwischen seiner Mutter und Yogi. Er sagt nichts, er guckt sie nur an. Er will nicht, dass sie Yogi ohrfeigt. Er findet es gemein. Ungerecht. Er würde sich lieber eine knallen lassen, als zu wissen, dass es Yogi geschieht.
Sie brauchen keine Worte für diese Auseinandersetzung.
Manchmal rutscht ihr eben die Hand aus , besonders wenn sie gestresst ist. Sie tut es nicht gerne und hinterher ärgert sie sich jedes Mal darüber. Aber sie hat als Kind auch ab und zu was hinter die Ohren bekommen und sie glaubt, es habe ihr nicht geschadet.
Weil sie Siggis Blick nicht ertragen kann, zischt sie: „Wenn du besser auf ihn aufgepasst hättest, wäre das nicht passiert. Da! Er ist doch schon wieder ganz blutig!“
„Jetzt bin ich wieder schuld, ja?“, schreit Siggi.
Yogi lacht Blutsuppe.
Frau Schmidtmüller wischt ihm das Gesicht ab.
Siggi nimmt Yogis Bild hoch. Es ist ein grausames Bild. Schwarz. Rot. Ein schreiender Mund. Tränen. Bäume. Ein Mond. Dazwischen wilde Striche.
Yogi will sein Bild zurück. Siggi gibt es ihm. Dabei streichelt er ihm über den Kopf. „Da, du Depp.“
21
Seit Hubertus Schnee den Betrieb an seinen Sohn übergeben hat, geht es seinem Sohn gesundheitlich von Monat zu Monat schlechter. Ihm selbst aber immer besser.
Er steht gewohnheitsmäßig jeden Morgen um fünf Uhr fünfundvierzig auf. Länger kann er nicht schlafen. Seine innere Uhr, in Jahrzehnten trainiert, weckt ihn gnadenlos.
Er rasiert sich und geht dann mit Bessie, der Schäferhündin, spazieren. Wenn er zurückkommt, steht der Kaffee auf dem Tisch. Er geht hinten an der Backstube vorbei und kauft Brötchen frisch vom Blech, lange bevor der Laden öffnet. Er isst sie gern mit Quark und selbstgemachter Marmelade.
Aber heute kommt es anders. Gleich wird er etwas finden, das ihm den Appetit für einige
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