Samstags, wenn Krieg ist
Silvesterknaller angezündet.
Peter war angeblich in Rostock mit dabei. Drei Mollies will er geworfen haben. Aber für Wolf ist das Maulheldentum. Wenn alle, die angeblich in Rostock und Hoyerswerda dabei waren und Mollies geworfen haben, das wirklich getan hätten, wären beide Städte durch eine Feuersbrunst von höllischen Ausmaßen vernichtet worden.
„W…wo hast du den Sprengstoff her?“, fragt Max und winkt gleich ab. Er weiß natürlich, dass er darauf von Wolf keine Antwort erhalten wird.
„Lasst uns abhauen“, sagt Wolf und wischt sich Staub aus dem Gesicht.
„Abflug!“, kommandiert Siggi. „Hier wird es gleich vor Neugierigen wimmeln.“
„Äi, guckt mal, da oben!“, ruft Jürgen und zeigt auf das andere Ende vom Steinbruch. Da, wo der Schaufelbagger steht und der LKW. Die Sonne lässt ein Fernglas aufblitzen oder ein Teleobjektiv. Zwei Gestalten ziehen sich aufgeregt zurück.
„Sollen wir uns die greifen?“, fragt Dieter. Seine rechte Faust klatscht voller Kampfeslust in die offene Handfläche der linken.
Wolf gibt das Handzeichen für Rückzug. „Die kriegen wir schon noch. Aber nicht jetzt!“, stellt er klar und natürlich widerspricht niemand.
Er hat jetzt mehr Respekt als jemals zuvor. Er ist vom Wortführer zum militärischen Führer geworden. Vom Söldner zum General. Vom Schütze Arsch zum Ausbilder. Seine Rolle in der Gruppe ist jetzt fester denn je. Und die Aktion auf dem jüdischen Friedhof wird ihm und seinen Ultras landesweite Anerkennung bringen.
„Bald schon“, beschwört er die Zukunft, „werden Froinde von überall anreisen, um in Ichtenhagen dabei zu sein. Jeden Samstag wird hier eine neue Runde eingeläutet. Als nächstes jagen wir das Asylantenheim hoch. Das wird den Schweinen eine Lehre sein.“
Ohne jede Notwendigkeit rennt Wolf los. Alle hinterher. Sie laufen bis zur Kiesgrube. Wolf springt hinein. Die anderen hinterher. Dann rollt er sich auf den glatten Steinen herum wie ein Hund, der Flöhe hat. Er lacht. Mit offenem Mund und zusammengepressten Augen lacht er seine Freude gegen den Himmel.
Er hat es geschafft. Das Erfolgserlebnis seines Lebens. Der ganz große Wums. Vielleicht wird er bald schon im Knast sitzen, aber man wird seinen Namen voller Respekt aussprechen. Die einen mit Achtung und die anderen voller Angst. Er wird kein Niemand mehr sein und keine Null.
Dann sitzen sie im Kreis, wie Indianer um ein imaginäres Feuer. Sie rauchen und hören Wolf zu.
„Unsere nächste Aktion wird generalstabsmäßig durchgeführt. Ein ganz harter Schlag. Kurz, präzise und vernichtend. Es wird nicht irgendeine stümperhafte Randale, wie sie inzwischen samstags vor jedem Assiheim abläuft. Wir putzen das Ding einfach weg. Ein großer Bums und aus. Das wird denen eine Lehre sein. Wir sind die Rache Doitschlands. Wir sind der Zorn unserer gedemütigten Väter und Großväter.“
Es läuft Siggi kalt den Rucken herunter, wenn er Wolf so reden hört. Gleichzeitig wird es ihm warm im Bauch, so als hätte er plötzlich dort eine Sonne, die zu strahlen beginnt.
Als Wolf „Väter und Großväter“ sagt, will Max eine Bemerkung machen, aber Siggi stupst ihn an und schüttelt den Kopf. Die Stimmung ist so gut. Siggi will nicht, dass sie getrübt wird.
Man munkelt, dass Wolfs Vater Italiener sei oder Jugoslawe oder Spanier. Jeder erzählt etwas anderes. Gesehen hat Wolfs richtigen Vater noch niemand.
Früher wurde Wolf manchmal von Linken damit aufgezogen. Deutschland den Deutschen? Na, dann raus mit dir, Wolf. Dein Alter kommt doch aus Zagreb, oder nicht? Der Nase nach zu urteilen, war er Jude. Vielleicht sogar Kommunist.
Was hast du denn da für einen Aufnäher auf der Jacke? Ach, du bist stolz darauf, ein Deutscher zu sein? Gerade du? Bist du da wirklich sicher? Hahaha!
Er ist solchem Spott nie mit Worten begegnet. Immer nur mit Fausthieben und Tritten. Wenn die Linken oder die Ausländer Streit suchen, sind sie bei ihm richtig. Er hat ein halbes Jahr lang trainiert. Kickboxen.
Als die Ultras auseinandergehen, weiß jeder von ihnen, dass er eine ganz normale Woche vor sich hat. Eine Woche, die aus vielen kleinen alltäglichen Verletzungen besteht. Aus Ducken, Runterschlucken und Einstecken.
Eine Woche lang so unauffällig wie möglich leben. Ein netter Nachbarsjunge sein. Ein lieber Sohn. Ein fleißiger Auszubildender. Siggi Schmidtmüller wird sich rührend um seinen behinderten Bruder kümmern.
Peter Lentz wird jeden Morgen pünktlich in der Kfz-Werkstatt
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