Samstags, wenn Krieg ist
menschliches Paket. Er ist – die Bierdose neben sich und zwei auf den Stufen ausgedrückte Selbstgedrehte – eingenickt.
Siggi rüttelt ihn.
„Äi, Dieter. Was ist los?“
Dieter guckt im Halbschlaf hoch. Eine Alkoholfahne schlägt Siggi entgegen.
„Bist du mal wieder rausgeflogen?“
Dieter macht nur eine wegwerfende Handbewegung. Das alte Spiel.
Siggi hilft ihm hoch und nimmt ihn mit rein.
„Psst, leise. Wehe, du weckst jemanden!“
„Ist ja schon gut.“
Dieter geht ausführlich pinkeln. Siggi pumpt derweil für ihn eine Luftmatratze auf. Einmal hat er Dieter im Wohnzimmer auf der Couch schlafen lassen. Einmal und nie wieder. Als Mutter morgens den Mann in Unterhosen und schnarchend vorfand, war sie nett und höflich, hatte später aber Siggi einen Riesenaufstand gemacht.
Als Dieter, mundfaul wie immer, neben Siggis Bett auf der Luftmatratze liegt, von einer schweren Wolldecke wie beerdigt, da erzählt Siggi leise von seinem Erlebnis im Parkhaus. Von Marias weißem Arsch, von der Strumpfhose an ihren Knien, von Robert Forler und davon, dass die beiden sich wohl morgen Abend wieder dort treffen wollen.
Amüsiert stellt Siggi fest, dass sich Dieters rechte Hand unter der Wolldecke auf und ab bewegt, während er erzählt.
„Wichst du?“, lacht Siggi.
„Ja“, grinst Dieter, „auf Marias Arsch.“
Dann wird Dieters Atem heftiger. Er krümmt sich einmal unter der Decke, zuckt und entlädt sich.
Siggi will noch von seinen Schüssen auf Gino erzählen, aber Dieter schläft auf der Stelle ein.
„Na dann gute Nacht, du Tier“, flüstert Siggi, und noch leiser, nur zu sich, mehr gedacht als gesprochen: „Ich bin von Bekloppten umgeben.“
42
Gino liegt wach in seiner Zelle. Die Luft ist stickig. Sein Hals ausgetrocknet vom Reden und von den vielen Zigaretten. Er hat Durst. Sie haben ihm eine Tasse kalten Tee gebracht, aber er braucht jetzt Rotwein oder Grappa.
Er kann sich zum ersten Mal in seinem Leben nicht vorstellen, wie er ohne Alkohol einschlafen soll. In seinem Kopf dreht sich ein buntes Gedankenkarussell. Grelle Farben. Dröhnende Musik.
Hätte ich doch bloß nie etwas mit dieser Tussi angefangen. Sie sah sowieso nur gut aus und war sonst ein Stockfisch.
Die Erfahrung hatte er oft gemacht. Die scheinbar tollen Frauen mit ihren Fuck-me-Klamotten, deren ganzes Outfit zu schreien schien: Wer will mich? – die stellen sich im Bett oft als Nieten heraus. Steif, anorgastisch und verklemmt. Sie ließen alles maximal über sich ergehen. Sie waren schön und damit basta. Die grauen Mäuse hingegen, die eigentlich alles taten, um zu verbergen, dass sie überhaupt einen Körper hatten. Kein Lippenstift. Kein Make-up. Strähnige Haare. Schlabberpullover und Jeans. Die flippten manchmal im Dunkeln völlig aus.
Er versucht, sich an einige zu erinnern, aber andere Gedanken schieben sich dazwischen.
Was, wenn das noch einmal passiert?
Irgendjemand will mich wirklich kaltmachen. Ich habe doch nie Ärger mit den Skinheads gehabt. Einige kenne ich sogar aus der Pizzeria. Sie essen manchmal bei uns.
Der eine heißt Dieter Koslowski. Der andere Siggi Schmidtmüller. Und dann ist da noch so einer mit einem Hitlerbärtchen. Der Max Fischer.
Was wird aus Mama und Maria? Wer passt auf sie auf?
Plötzlich befürchtet er, dass seine Mutter gerade jetzt im Moment mit seiner Frau in Neapel telefoniert.
Bella wird kommen. Klar. Sie packt wahrscheinlich schon. Dann wird sie alles herausbekommen. Sein Verhältnis mit Renate. Seine anderen Frauengeschichten. Die Bullen werden keine Ruhe geben, bis sie seine Ehe zerstört haben. Seine Ehe. Seine Familie. Seine Existenz.
Die arbeiten alle zusammen, denkt er plötzlich. Alle. Die wollen mich fertigmachen. Skins. Mafia. Kirche und die deutschen Bullen.
Die glühenden Hände hat er locker auf dem Leinentuch liegen. Der Drang, die Finger unter den laufenden Wasserkran zu halten, wird übermächtig. Er muss das Feuer in der Hand löschen, bevor es nur noch verkohlte Stumpen von seinen Händen übriglässt.
Aber er weiß, danach wird es noch schlimmer. Von dem vielen Wasser trocknen seine Hände nur noch mehr aus, weil sie Fett verlieren. Er braucht seine Ringelblumensalbe oder wenigstens Vaseline.
Jetzt erinnert er sich daran, dass seine Mama ihm früher erzählt hat, wenn er sich da unten berühre, würden seine Hände erst schwarz werden und dann abfallen. Nach der ersten Selbstbefriedigung hatte er tatsächlich Angst um seine Hände gehabt. In den
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