Samstags, wenn Krieg ist
schlimmsten Träumen fielen sie ihm einfach ab, wie reifes Obst vom Baum plumpst und verrottet.
Seit er fünfzehn ist, hat er es sich nur noch in äußersten Notfällen selbst gemacht. Er ist seitdem wie jeck hinter den Mädchen her.
Mit sechzehn begann er ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Sie war vierzehn Jahre älter als er und hatte schwere Milchbrüste. Sie machten es fast täglich auf dem Dachboden im Stehen, während direkt unter ihnen in der Wohnung die Kinder plärrten und seine Mutter für ihn kochte.
Sie wohnten im gleichen Flur. Nebeneinander. Sie sprachen nur sehr selten miteinander. Aber die unausgesprochenen Verabredungen auf dem Dachboden liefen so lange, bis er seine jetzige Frau kennenlernte.
Damals hatte er Angst, die Hautkrankheit könnte von den Händen auf den Schwanz übergreifen. Er berührte sich dort nur noch mit Handschuhen oder einem Taschentuch als Schutz. Bei dem Gedanken krampft sich noch jetzt alles in ihm zusammen. Trockene, rissige Haut am Glied, die abblättert und den ganzen Tag juckt und schmerzt …
Er hatte insgeheim immer befürchtet, dass sein unmoralisches Sexualleben, das tägliche Vögeln, sich eines Tages rächen würde. So etwas konnte nicht gut gehen. Sonst würden es ja alle machen. Aber jetzt ahnte er, ihm würden weder die Hände noch der Schwanz abfallen. Er würde ganz einfach ausgeknipst werden, von einem eifersüchtigen Freund, Vater oder Ehemann.
Irgendwie ist der Gedanke erleichternd für ihn. Er hat fast das Gefühl, ihm geschieht es ganz recht. Er ist es jedenfalls selbst schuld.
43
Die Sonne durchflutet den Gruppenraum. Die Fensterkreuze zerteilen das einfallende Licht in einzelne Strahlenkegel. Darin kann Yogi unzählige Staubpartikelchen tanzen sehen. Goldregen. Glitzerschnee.
Er greift nach ihnen, aber er kriegt sie nicht. Er löst nur Turbulenzen in der Luft aus.
Petra Freitag lässt ihn in der Puppenecke sitzen. Hauptsache, er stört nicht. Im Moment kriegt sie keinen Zugang zu ihm. Sie kann das aushalten. Wenn er aus seiner Welt wieder auftauchen will, wird sie ihn willkommen heißen und für ihn da sein.
Sie spielt ein Lied auf der Gitarre. Die anderen sitzen im Stuhlkreis. Bei einigen ist Petra froh, wenn sie sieht, dass ihre Körper im Takt zu wackeln beginnen. Andere singen lauthals mit.
Petra Freitag setzt Musik gern als Therapiemittel ein. Es ist für sie ein direkter Weg zu den Gefühlen ihrer Schützlinge.
Als sie wenige Minuten später aus der Puppenecke merkwürdige Geräusche hört, sieht sie nach.
Yogi kniet hinter dem Sofa über einer großen Laufpuppe und würgt sie. Er hat Bläschen vor dem Mund. Er japst wie ein junger Hund und legt all seine Kraft in die Hände.
Schon ist Petra Freitag bei ihm.
„Nicht, Johannes! Was machst du denn da? Hör auf! Du machst ja die Puppe kaputt! Johannes!“
Yogis Augäpfel treten heraus. Speichel läuft an seinem Kinn herunter. Er scheint sie gar nicht zu hören.
Jetzt schlägt er den Kopf der Puppe wieder und wieder auf den Boden. Tock. Tock. Tock.
„Johannes. Hör auf! Ich verbiete es dir. Sieh mich an! Johannes!“
Sie schüttelt ihn.
Die Szene entsetzt sie so sehr, dass sie ihm am liebsten eine knallen möchte, damit er aufhört. Das tut sie aber nicht. Sie ruft ihre Kollegin, Ingeborg Neu. Die junge Psychologiestudentin verdient sich hier halbtags das Geld für ihre Ausbildung.
Auch sie ist schockiert von der bösen Energie, der Gewalt, die von Johannes ausgeht. Sie will ihm die Puppe entreißen, da hört er auf, beginnt zu weinen, laut zu jammern und zu schluchzen und drückt die Puppe an sich, als müsse er sie beschützen.
Ingeborg Neu sieht Petra Freitag fragend an. Ingeborg findet die Wirkung von Psychopharmaka überzeugend. Sie will den Arzt rufen und Yogi ruhigstellen lassen, doch Petra Freitag erklärt: „Seine Schwester ist ermordet worden. Das kann er nicht fassen. Es ist einfach zu viel für ihn. Er braucht jetzt unsere Liebe und Zuwendung. Keine Tabletten.“
Yogi drückt die Puppe und streichelt sie. „Ate“, stammelt er. „Ate.“
Eine knappe Stunde später verschwindet Yogi wieder in die Spielecke. Er versteckt sich mit einer großen Puppe und schneidet ihr mit einer Sicherheitsschere – vorne abgerundet – die Haare. Er versucht, sie kurz zu schneiden. Ganz kurz. Eine Glatze.
Aber zweimal fährt die Schere dabei in seine Finger. Er scheint es nicht zu bemerken. Das Fleisch klafft auseinander. Sein Blut pulsiert heraus.
Erst als die Puppe
Weitere Kostenlose Bücher