Samstags, wenn Krieg ist
spuckt Blut auf die Steine. Dieter verpasst ihm noch einen Tritt. Dann hebt er die Arme und sagt: „Ihr habt gewonnen. Ich komme mit.“
Die Italiener und die Punks können ihr Glück noch gar nicht fassen. Dann hören sie die schnellen Schritte aufs Kopfsteinpflaster knallen wie Pistolenschüsse. Max und Wolf.
„Ihr kommt gerade richtig!“, lacht Dieter. „Die Sackgesichter hier wollen mich zu Gino bringen.“ Er zitiert schadenfroh: „Der will ‘ne Fete für uns geben.“
Wolf packt sich den Kleinen mit dem Messer und rüttelt ihn durch. „Wo ist das Schwein? Wo? Haben eure Bullenfreunde ihn freigelassen?“
„Stech ihn ab!“, brüllt ein Punk, der nicht verstehen kann, warum Carlo die Messerhand schlaff herunterhängen lässt, wie gelähmt. Als ob er erst daran erinnert werden müsste, dass er wirklich bewaffnet ist, reagiert Carlo fast überrascht darauf, als er sein Messer durch Wolfs Gesicht sausen sieht. Beide Seiten der Klinge sind scharf.
Wolf lässt seinen Gegner sofort los.
„Du Sau!“, schreit er.
Max zieht seinen Schreckschussrevolver. Vorne auf den Lauf hat er etwas geschraubt, das wie ein Schalldämpfer aussieht. Er richtet den Trommelrevolver auf die beiden Punks, greift in seine Jacke und nimmt zwei Leuchtkugeln heraus. Eine rote und eine blaue. Signalmunition. Silvesterspäße. Sie leuchten herrlich in der Luft. Aber man kann sie auch auf den Mann abfeuern. Max stopft die blaue in den Pistolenaufsatz.
„Ich leg euch um.“
„Ich brauch einen Arzt“, stöhnt der Irokese.
„Halt’s Maul und verreck!“
Eine Polizeisirene. Die Verkäuferin im Schuhgeschäft hat den Notruf informiert. Sie traute sich nicht, ihren Namen zu nennen, aber sie hat Bescheid gesagt.
Max schießt die Leuchtkugel ab. Sie zischt mit ohrenbetäubendem Knall auf den Punk, der besonders nah bei Max steht. Seine Kleider brennen sofort.
Max lädt nach.
„Nicht! Die Bullen! Lasst uns abhauen!“
Max kommt dem Befehl nach. Dieter und Wolf rennen in Richtung Fußgängerzone.
Die Beamten rufen Verstärkung und einen Krankenwagen. Der eine, Kalle genannt, kommt frisch aus der Großstadt. Er ist ziemlich neu im Trachtenverein. „Was ist hier in Ichtenhagen los?“, fragt er. „Bürgerkrieg?“
55
Sie sitzen auf dem Spielplatz in den Gerüsten. Peter auf der Schaukel. Max hängt neben Wolf in der Kletterpyramide.
Wolfs linke Gesichtshälfte ist mit Pflastern zugeklebt.
Er ist stolz darauf. Frische Kriegsverletzung von einem Itakermesser.
Jürgen hockt im Sandkasten. Er hat die Ritterburg zertreten und stattdessen ein großes Hakenkreuz in den Sand gemalt.
Der Spielplatz ist übersät mit Zigarettenkippen, zerquetschten Bierdosen und zerdepperten Flaschen. Seine Kinder lässt hier kaum noch jemand spielen. Die Verletzungsgefahr durch Scherben ist zu groß und die ganz Kleinen essen die Kippen im Sandkasten ja noch, weil sie alles in den Mund nehmen müssen.
Hier trifft Wolf ab und zu die Babygang. Die Nachwuchsskins. Der jüngste ist elf. Der Älteste vierzehn.
Wolf „schult sie politisch“. Das heißt, er bildet sie im Nahkampf aus und schwört sie auf seine Person ein. Für alle ist er der Ersatzpapi. Es ändert nichts, wenn er sich tagelang nicht sehen lässt. Das sind sie von ihren Vätern gewohnt.
Von Wolf haben sie gelernt, wie man jemanden von hinten mit dem Messer angreift. Leberstich. Tritte gegen das Schienbein. Augen ausstechen mit bloßen Fingern. Kehlkopfrausreißen.
Manchmal sagt Wolf zärtlich „meine kleinen Tiger“ zu ihnen. Am liebsten hat er den kleinen Fred. Blauäugig. Zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.
Freds Vater ist von einem Türken überfahren worden, als Fred drei war. Seitdem hasst Fred Türken.
Wolf füllt die Kinder wieder ab, bis sie kotzen. Jeder eine Dose Bier. Aufreißen. Ansetzen. Ex. Wer absetzt, hustet oder sich verschluckt, macht zehn Liegestütze und fängt dann von vorne an.
Die Ichtenhagener Ultras gucken sich den Nachwuchs an. Sie lachen, stacheln die Kids auf und schließen Wetten ab.
Wolf zieht mit seinem Messer einen geraden Strich über den Platz. Gut zehn Meter lang. Nach der fünften Dose Ex wird darauf balanciert. Mit verbundenen Augen.
Außer Fred schafft das nur noch Hamu, der Wert darauf legt, Hartmut genannt zu werden, weil Hamu so ausländisch klingt. Die anderen haben schon glasige Augen, ihnen ist schlecht. Kotzen gehört dazu.
„Ihr habt so viel Dreck in euch. Der ganze Mist muss raus. Bier hilft. Alkohol reinigt den
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