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Samtpfoten im Schnee

Samtpfoten im Schnee

Titel: Samtpfoten im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Clare
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auf welches hin sie ein ebenso förmliches Dankschreiben erhalten hatte.

    2. Kapitel
    Joy lag auf dem Schoß ihres Vaters, während die Kutsche den Weg entlangrumpelte. Sie schlief jetzt schon seit fast einer Stunde. Justin strich ihr die blonden Locken aus der Stirn und wickelte eine davon um seinen Finger. Von dem Augenblick an, da seine Tochter auf die Welt gekommen war, war sie ein Wunder für ihn. Ihr erstes verständliches Wort war »Papa« gewesen. Sie hatte nicht lange gebraucht, damit zu beginnen, erst zwei, dann drei und noch mehr Worte aneinander zu reihen. Zuerst waren nur er und das Kindermädchen - und oft auch Belinda - in der Lage gewesen, ihr Geplappere zu verstehen.
    Doch schon bald begann Joy, deutlicher zu sprechen und Dutzende von Fragen zu stellen, am häufigsten »Warum?«.
    Er hatte es geliebt, ihr zuzuhören, wenn sie mit ihren Puppen gespielt und lange Unterhaltungen mit ihnen geführt hatte.
    Das ist schon so lange her, dachte Justin. »Ich hoffe sehr, dass deine Tante Irene mit ihrer Theorie Recht hat«, sagte er leise zu dem schlafenden Kind.
    Joys Augen hatten vor Freude aufgeleuchtet, als er ihr von dem geplanten Besuch auf Everleigh erzählt hatte. Sie waren im Kinderzimmer gewesen, und sie war sofort losgelaufen, um ihre Lieblingspuppe in den Arm zu nehmen, womit sie fragte, ob sie sie mitnehmen dürfe.
    »Natürlich kannst du Penelope mitnehmen«, hatte er gesagt. Als Joy dann noch drei weitere Puppen in den Arm genommen hatte, hatte er gelacht und gesagt: »Nein, Püppchen. Nur eine. Sarah und Becky haben einen ganzen Schrank voller Puppen, mit denen du spielen kannst.«
    Joy hatte dies bereitwillig akzeptiert, wohingegen sie sich nicht davon hatte abbringen lassen, ihre >Decke< mitzunehmen - es war ein Stück von einer alten blauen Decke, die sie für ihr Puppenbett bekommen hatte, das Joy aber überall mit sich herumschleppte. Sogar jetzt hielt sie es im Schlaf fest umklammert. Sie dazu zu überreden, es für eine gele-gentliche Wäsche herzugeben, machte im Allgemeinen die Anwendung ausgeklügelter Taktiken erforderlich, zum Beispiel einen Ausritt im Park mit ihrem geliebten Papa.
    Justin seufzte. »Warum, meine Kleine? Warum weigerst du dich zu sprechen?« Er hatte sich diese Frage schon hunderte Male gestellt.
    Er kannte die Antwort, die auf der Hand lag.
    Belinda, in der Regel eine geduldige und liebende Mutter, war in den Monaten vor ihrem Tod ungeduldig und reizbar gewesen. Sie hatte über fürchterliche Kopfschmerzen geklagt. Wenn diese sie heimsuchten, verlangte sie völlige Dunkelheit und absolute Ruhe. Einmal hatte sie zwei Hausmädchen zur Ruhe gemahnt, die vor Belindas Zimmer miteinander gekichert hatten, weil »deren Lärmen mich um-bringt«. Justin konnte sich vorstellen, dass das Plappern eines kleinen Mädchens für eine leidende Frau vermutlich höchst unwillkommen war. Hatte Belinda vielleicht etwas Derartiges zu Joy gesagt?
    Die Ärzte, die ins Haus kamen, um Belinda zu untersu-chen, vermuteten, dass sie an einer Art von Tumor litt, der den schmerzhaften Druck auf ihr Gehirn verursachte. Auf jeden Fall schienen ihre Schmerzen immer stärker zu werden, und es gab wenig, was man tun konnte, sie zu lindern. Belinda begann, immer stärkere Dosen Laudanum einzunehmen, um ihr Leiden zu bekämpfen.
    Die Medikamente schienen ihr zu helfen, auch wenn diese sie oft in einen Zustand von Benommenheit versetzten. In ihrer Sorge um Belinda, die immer längere Zeiten im vom Laudanum herbeigeführten Dämmerzustand verbrachte, fiel es nur wenigen Leuten auf, dass Joy begonnen hatte, sich mehr und mehr in sich zurückzuziehen. Eines Tages schließlich hatte Belinda eine ungewöhnlich hohe Dosis des Medikaments eingenommen und war einfach nicht mehr aufgewacht.
    Joy war zu der Stunde, die sie gewöhnlich mit ihrer Mutter zusammen verbrachte, munter vor sich hinplappernd in deren Zimmer gegangen. Sie war es gewesen, die Belinda reglos daliegend gefunden hatte. Sie schien instinktiv ge-spürt zu haben, dass etwas Schreckliches geschehen war.
    Die Dienstboten waren von ihrem lauten »Mama! Mama!«-
    Schreien alarmiert herbeigelaufen.
    Als Joy verstanden hatte, dass ihre Mutter fortgegangen war und nie mehr zurückkommen würde, hatte sie einfach aufgehört zu sprechen. Punkt. Sie sprach auch nicht mehr mit ihren Puppen. Ihre ständigen Fragen waren verstummt.
    Und sie lächelte nur noch selten.
    »Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll«, murmelte Justin.
    Niemals in seinem Leben

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