Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
brachte Maryanne ein Lächeln zustande, als Anne enthusiastisch auf den Durchgang vom Ballsaal zur benachbarten Galerie zeigte, von wo aus man den Garten überblicken konnte. Seidige Bänder kitzelten Maryannes Handflächen, als sie Anne folgte. Sie trug den Berg aus verknoteten Bändern vor sich her, die sie versucht hatte zu entwirren, und sie wusste, dass sie wenigstens ein Wort der Zustimmung hätte äußern sollen, aber ihre Kehle schmerzte, und in ihrem Kopf pochte es unablässig.
Morgen war der 24. Dezember, der Weihnachtsabend. Die immergrünen Zweige, der Efeu, die Girlanden und Bänder würden aufgehängt werden. Venetia, Marcus und ihr Baby würden eintreffen.
Mehr als alles andere wünschte sich Maryanne, nur noch an die Zukunft zu denken. Sich auf das Wiedersehen mit Venetia und ihrem kleinen Neffen zu freuen und der schönen Zeit mit ihrem eigenen Kind entgegenzusehen.
Aber es gelang ihr nicht.
Vielleicht würde die Zukunft niemals kommen. Und wenn sie es doch tat, würde sie vielleicht wie die Albträume sein, die sie nachts quälten.
Jeden Augenblick konnten Dashs Onkel, seine Tante und sein Cousin Robert eintreffen. Maryanne fürchtete sich vor dem Eintreten des Dieners, der ihre Ankunft melden würde. Und davor, die Menschen kennenzulernen, die versucht hatten, Dash zu töten.
In den vergangenen drei Tagen hatte es keinen weiteren Anschlag auf sein Leben gegeben. Nichts Auffälliges oder Schlimmes war passiert. Sicher bedeutete das, dass sein Onkel hinter den bisherigen Attacken steckte und der Mörder nicht Tate, Carven, Barrett oder sogar Ashton war. Es musste James Blackmore sein, und der Schweinehund wartete, bis er in Dashs Haus war, um hier zum endgültigen und letzten Schlag auszuholen …
Es konnte aber auch heißen, dass es Robert war.
Oder war nur deshalb nichts geschehen, weil Dash sie während der letzten drei Tage praktisch als Gefangene in seinem Bett gehalten hatte? Er war nicht draußen gewesen und hatte deshalb auch kein Ziel für den Täter abgegeben.
„Wir könnten unter jedem Wandleuchter Efeu und Bänder anbringen“, überlegte Anne laut, während sie sich im Zimmer umsah. Goldene Bänder ringelten sich zwischen ihren Fingern. Sie hielt inne und wartete auf Zustimmung.
„Sicher“, erwiderte Maryanne. Eigentlich wollte sie nur an die drei Tage denken, die sie mit Dash im Bett verbracht hatte. Beim Gedanken an die erotischen Spiele, die sie gespielt hatten, wurden ihre Wangen heiß. Gefühle. Jedes Spiel hatte sie mit einem neuen Lieblingsgefühl bekannt gemacht. Da war der heisere Klang seiner Stimme gewesen, als er ihr die Augen verbunden hatte. Das sanfte Streichen seiner Fingerspitzen über ihre Nippel, das einen äußerst sinnlichen Kontrast zu seinen saugenden Lippen gebildet hatte. Sein Duft – der saubere Geruch seiner Haut, angereichert mit dem Aroma der Sandelholzseife und der Zaubernuss, die er zur Rasur benutzte, der berauschende moschusartige Duft unter seinen Armen und die erdige, reife Verlockung, welche sein Schwanz verströmte.
Sie hatte sich wie im Himmel gefühlt, aber es war ihr erschienen, als wollte Dash ein ganzes Leben voller Lust und Freude in wenige Tage pressen.
Stiefel stapften über die weiten Flächen des Fußbodens, und die gewölbten Decken warfen den Klang der schweren Schritte zurück. „Myladies“, kündigte der Diener an, „Mr. und Mrs. Blackmore und Mr. Robert Blackmore sind soeben eingetroffen.“
Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, sah Maryanne zu, wie die Bänder ihren Händen entglitten und die, die auf Spulen gewickelt waren, über den Parkettboden rollten. Sofort war Anne neben ihr, um ihr zu helfen. Doch gleichzeitig trat Dash in den Ballsaal. Sie hörte, wie Anne die Luft anhielt, und Maryannes gesamter Körper schmolz dahin und gefror gleichzeitig, als sie ihn sah – so widersprüchlich es auch erschien, die Mischung aus Hitze und Eis war genau das, was sie empfand.
Rabenschwarzes Haar fiel in tiefgründige schwarze Augen. Alles an Dash war ganz der mächtige Viscount. Ein makelloses tiefschwarzes Jackett umspannte seine breiten Schultern und passte exakt zum Schwarz seines Hemdes, seiner Krawatte und der schimmernden Perfektion einer Weste aus schwarzer Seide. Seine Beine, von den schmalen Hüften bis zum Fußboden, schienen endlos zu sein und steckten in engen Hosen und glänzenden Stiefeln.
Er trug seinen Reichtum und seine Macht vor sich her.
Und erregte Neid damit, wie sie wusste.
Maryanne schluckte
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