Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
dasitzen und zusehen und höflich sein.
„Was erlauben Sie sich!“, rief sie, sprang hoch und schlug mit den Händen auf die Armlehnen ihres Sessels. „Er war noch ein kleiner Junge, und Sie haben versucht, ihn wegen des Titels zu töten. Sie haben versucht, ihn zu zerstören, und sorgten dafür, dass er ein Leben voller Angst und Schrecken führen musste. Sie haben es nicht verdient, sich unter seinem Dach aufzuhalten. Auf den Knien sollten Sie vor ihm liegen und ihn um Vergebung bitten.“
„Hör auf, Maryanne.“ Dash hatte sich umgedreht und sah ihr ins Gesicht, doch sie ignorierte ihn.
Sie wollte zu seinem Onkel laufen und ihm eine Ohrfeige versetzen.
„Nichts als Lügen erzählen Sie da!“, protestierte James Blackmore mit lauter Stimme. „Er war schon immer ungebärdig und unverbesserlich. Sogar schon bevor mein Bruder und seine Frau starben. Hat er Ihnen all die Lügen über mein angeblich so fürchterliches Verhalten erzählt? Swansborough ist der Mörder. Er ist das Ungeheuer!“
Das stimmte nicht. Während der vergangenen drei Tage hatte Dash ihr einiges von dem erzählt, was sein Onkel getan hatte. Und nun benutzte sein Onkel den Schmerz, den Dash mit sich herumtrug, um ihn zu verletzen. Maryanne zitterte; vor ihren Augen stiegen rote Nebel auf. „Sie haben mit Pfeil und Bogen auf ihn geschossen, sodass es aussah, als hätten Kinder ihn versehentlich beim Spiel verletzt.“
„Maryanne …“ Nun war Dash neben ihr. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und streichelte sie beruhigend. „Du darfst dich nicht aufregen, Liebste.“
Aus den Augenwinkeln sah Maryanne, dass Anne blass geworden war und mit weit aufgerissenen Augen von einem zum anderen sah. Und sie bemerkte, dass Sir William leise ins Zimmer gekommen war. Seine Wangen waren gerötet, und er nickte Maryanne beruhigend zu – doch sie konnte nicht aufhören.
„Und das Feuer?“, fuhr sie wütend fort. „Sie zündeten einen alten Stall an, in dem er oft spielte.“
Dashs Onkel umklammerte seinen Stock, er stand gebückt und mit hängenden Schultern da. Das lag an seinem Alter, es schien aber auch, als hätte seine Bosheit ihn ausgehöhlt, als würde sie ihn langsam auffressen.
„Seien Sie still, Madam! Es war eine Kerze, die das Feuer verursacht hat!“, brüllte James Blackmore. „Es war ein Unfall. Ebenso wie die Sache mit dem Pfeil. Das war ein Spiel zwischen dummen Jungen. Allerdings glaube ich Ihnen gerne, dass er mir die Schuld gibt. Er glaubt seine eigenen Lügen.“ Er drohte Maryanne mit der Faust und zerrte mit der anderen Hand an seiner Krawatte. Doch für einen kurzen Moment wandte er den Blick von ihr ab und sah hinüber zu Sir William. Es war ein verräterischer Blick, mit dem er offensichtlich die Reaktion des Richters von dessen Gesicht ablesen wollte.
Lügner. Natürlich war Dashs Onkel der Lügner.
„Hör auf.“ Neben ihr erklang die kalte, gefährliche Stimme ihres Mannes, und sie wirbelte herum, um Dash in die Augen zu sehen, die vollkommen schwarz waren, da ihm dort, wo er stand, kein Kerzenlicht ins Gesicht fiel. Und sie hörte auf.
Nun herrschte Stille, abgesehen von dem seltsamen pfeifenden Geräusch, das Dashs Tante zwischen den Lippen hervorstieß. Und dem Klirren, mit dem Sophias Lorgnette zu Boden fiel. Und dem Klirren der Glasprismen des Leuchters, als Blackmore mit der Hand auf den Beistelltisch schlug.
„Es ist nicht dein Kampf, Süße“, erklärte ihr Dash in unnatürlich ruhigem Ton.
Doch das stimmte nicht. Sein Kampf war auch ihrer. Sie öffnete den Mund, doch der Schmerz in seinen Augen ließ sie innehalten.
Langsam wandte sich Dash seinem Onkel zu. „Was dich angeht, Blackmore, so hast du meine Frau angegriffen. Ich fordere …“
„Nein!“, keuchte Maryanne.
Er wollte sich wegen dieser Sache duellieren. Das durfte er nicht tun. Blackmore war alt, zittrig und schwach, aber sie konnte nicht zulassen, dass Dash und er einander mit Pistolen in den Händen gegenübertraten.
Verzweifelt streckte sie die Hand nach Dash aus, doch er bewegte sich bereits wieder auf seinen Onkel zu. Sie war schuld an seiner Reaktion, weil sie sich eingemischt und ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Dash konnte Blackmores Reaktion auf ihre Worte nicht hinnehmen.
Wie dumm sie sich verhalten hatte!
„Nein!“, schrie sie noch einmal.
Dash blieb stehen. Unter seinen zusammengezogenen Augenbrauen hervor sah er sie an. Sie bemerkte, dass Moredon auf sie zukam, vielleicht um sie aufzuhalten.
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