Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
ebenfalls den Raum zu verlassen, aber Dash murmelte: „Bleib.“
Das tat sie, bis er Anstalten machte, seinem Onkel und den beiden Dienern zu folgen.
Sie konnte ihn nicht allein gehen lassen!
Mit gerafften Röcken lief sie ebenfalls zur Tür, wurde aber schon nach wenigen Schritten von einem jungen rehäugigen Diener aufgehalten. „M…Mylady?“, stotterte der Junge.
„Was?“, fragte sie verwirrt. Dann sah sie, dass Henshaw ebenfalls bei Dash war, außerdem die beiden Diener und der Rest seiner Familie. Soeben eilte Sir William an ihr vorbei, um sich der Gruppe anzuschließen. Sie musste keine Angst haben. Inmitten einer solchen Menschenmenge würde sein Onkel nicht wagen, Dash etwas anzutun.
„Eine Dame hat nach Ihnen gefragt, Mylady“, berichtete ihr der Diener. „Eine Mrs. Watson. Sie ist wieder hinaus zu ihrer Kutsche gegangen und hat diese Nachricht hinterlassen.“
Mrs. Watson? Georgiana?
Schon während sie den Brief öffnete, wusste sie, was darin stand. Georgiana wollte sie unter vier Augen sprechen – und wenn sie nicht nach draußen kam, würde Georgiana noch einmal zur Haustür kommen. Die Drohung war offensichtlich: Ihre Geschäftspartnerin würde alles ausplaudern, wenn Maryanne nicht bereit war, mit ihr zu reden. Und ihr Geld zu geben natürlich.
Nach den boshaften Bemerkungen von Dashs Tante konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass die ganze Familie von ihren Geschäftsbeziehungen zu einer Kurtisane erfuhr. Sie durfte Anne nicht verschrecken, die so gern ihre Freundin sein wollte.
Aber sie weigerte sich, zuzulassen, dass Georgiana sie zwang, ein Leben in Angst zu führen.
Sie musste nach draußen zu Georgianas Kutsche gehen, wie ihre ehemalige Freundin es von ihr verlangte. Die Kutsche stand, schrieb Georgiana in ihrem Brief, am Ende der Auffahrt.
Sie würde hinausgehen und Georgiana zum Teufel schicken.
Nachdem sie ihren Umhang geholt hatte, schlüpfte Maryanne durch den Hinterausgang nach draußen. Eine niedrige, aus dickem Holz gezimmerte Tür führte von der Küche aus in den Kräutergarten. Blaue Schatten lagen auf dem Schnee, als sie aus dem überheizten Haus in die eisige Kälte trat. Alles war still. Die Sonne war bereits untergegangen, und der Himmel hing tief und grau über dem Anwesen.
Maryanne schob die Hände in ihren Muff und atmete die frostige Luft ein. Sofort schmerzten ihre Lungen von der Kälte. Sie atmete wieder aus, und ihr Atem tanzte vor ihr in der Luft. Über ihr lag die Terrasse, und aus den Fenstern der Galerie strahlte Licht. Hier unten aber stand sie im Schatten, niemand konnte sie sehen.
Sie musste die Sache hinter sich bringen.
Maryanne ging den schmalen Pfad an der Seite des Hauses so eilig hinunter, dass der Schnee aufstob. Sie kam an den Büschen neben dem Westflügel vorbei, immergrünem Strauchwerk, welches zu eleganten Formen zurechtgestutzt war. Das schwache Licht, das aus den unteren Fenstern drang, legte lange Schatten über den Schnee.
Mit heftig klopfendem Herzen durchquerte sie die Schatten, doch als sie die Ecke des Hauses erreichte, blieb sie stehen. Im vorderen Teil des Gartens drückten sich oft Diener und Knechte herum.
Hinter sich hörte sie ein leises Knacken. Dann seufzte jemand.
Sie war sicher, sich diese Geräusche nicht eingebildet zu haben.
Eine Hand legte sich über ihren Mund und stopfte ihr ein Stück Stoff zwischen die Zähne. Sie schrie – was mit einem Knebel im Mund natürlich völlig sinnlos war! Dann trat sie nach hinten, und ihr Absatz berührte einen festen Stiefel. Ein kräftiger Arm umklammerte ihre Taille.
Und hob sie hoch.
Sie strampelte mit den Beinen und hörte, wie jemand mit rauer Stimme in sich hineinlachte. Der Arm ihres Angreifers quetschte schmerzhaft ihre Brust zusammen. Ein übler Schnapsgestank stieg ihr in die Nase, und das schmutzige Tuch in ihrem Mund brachte sie zum Würgen.
„Du bist ein ziemlich kratzbürstiges Frauenzimmer, stimmt’s?“, brummte ihr der Schuft ins Ohr.
Ein zweiter Mann löste sich aus dem Schatten, fing ihre zappelnden Füße ein und umklammerte sie dabei so fest, dass seine Finger sich in ihre Knöchel gruben. Mit einem Ruck drückte er ihre Füße zusammen, hielt sie mit einer seiner riesigen Hände fest und schlang ein raues Seil darum. Der Kerl gab sich nicht damit zufrieden, ihre Fußgelenke zu fesseln und umwickelte sie bis hinauf zu den Schenkeln mit dem kratzigen Strick. Dabei kicherte er die ganze Zeit vor sich hin. Gleichzeitig band der erste
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