Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
er seine Worte aussprach, ließ sie zurückzucken. Aber natürlich war sie ihm wegen der Ketten ausgeliefert und konnte sich nicht von der Stelle rühren. Sie kannte die Stimme, sie weckte schreckliche Erinnerungen in ihr. Doch wem gehörte sie?
Als etwas klirrend gegen die Eisenstäbe des Gitters schlug, schrie sie entsetzt auf.
„Swansborough hat eine gute Wahl getroffen. Dieses eine Mal hat sein Schwanz ihn nicht in die Irre geleitet.“
Wising. Das kleine Dorf tauchte am Rand der Straße auf, die sich durch die Landschaft auf einen steilen Berghang zu schlängelte. Rings um die im Tudorstil erbauten Häuser türmte sich der Schnee auf, den der Wind gegen den Berg geweht hatte. Von den Häusern aus hatte man einen weiten Blick über eine abfallende verschneite freie Fläche.
Als Dash die Schultern straffte, brach die dünne Eisschicht auf seinem Mantel. Er gab Beelzebub die Sporen und trieb das Pferd, so rasch er es wagte, den Berg hinauf. Es war der Weg, den der Gastwirt im Nachbardorf ihm beschrieben hatte.
Maryanne.
Bitte lass ihr nichts geschehen. Ohne jedes Zögern hätte er sein Leben für ihres gegeben.
Und für das ihres gemeinsamen Kindes. Lass dem Baby nichts geschehen.
Sich unter den von Schnee und Eis niedergedrückten Zweigen duckend, ritt er den schmalen Weg nach Whitby Manor, einem schlichten symmetrischen Steinhaus, hinauf. Alle Fenster waren erleuchtet. Eine schwarze Kutsche ohne Wappen stand vor dem Eingang.
Er zügelte Beelzebub. Für jeden Beobachter musste es aussehen, als sei er allein gekommen, doch Sir William hatte mehrere Polizisten zusammengetrommelt, die …
„Mylord.“ Aus dem Schatten löste sich ein Mann. Er war maskiert und trug einen schwarzen Mantel. Als der Wallach scheute, presste Dash die Schenkel fester an Beelzebubs Flanken. Zwei weitere ebenfalls maskierte Männer kamen im Laufschritt aus dem Haus. Einer von ihnen trug eine Laterne.
„Absteigen, Mylord“, befahl ihm der erste Mann und richtete eine Pistole auf ihn.
Dash hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen, doch in dem Moment, in dem seine Stiefel den vereisten Schnee berührten, nahm er eine plötzliche Bewegung hinter sich, ein Zischen in der Luft, wahr.
Er hatte sich bereits halb umgewandt, als etwas auf seinen Kopf krachte.
Gefesselt. In Ketten gelegt. Zu einem Bündel verschnürt. Mit Füßen getreten, bis seine Rippen bei jedem Atemzug schmerzten.
Dash stöhnte und hob den Kopf, während er die Zähne zusammenbiss, um den Schmerz zu ertragen, der durch seine Schultern, seinen Rücken und seine Brust fuhr. Er war mit so weit gespreizten Armen an die Wand gekettet, dass seine Sehnen schmerzten. Eisen schnitt ihm in die Fußgelenke. Wenigstens hing er nicht an der Wand, sondern stand auf seinen Füßen, sonst wären ihm wahrscheinlich die Glieder vom Leib gerissen worden.
Er war splitternackt und zitterte vor Kälte. Um ihn herum roch es muffig.
Schwaches graues Licht kroch durch drei schmale Schlitze in der Wand, und dort drang auch die kalte Winterluft herein.
Mit geschlossenen Augen sammelte er all seine Kräfte und versuchte, sein rechtes Bein von der Wand loszureißen. Das war natürlich hoffnungslos; die verdammten Ketten waren äußerst haltbar und klirrten lediglich gegen die Wand, als er sich bewegte.
„Wer … wer ist da?“
Hoffnung und Freude und Liebe und nackte Angst explodierten in ihm. „Maryanne?“
„D…Dash?“
„Ja, meine Liebste. Ich bin es. Der edle Ritter, der zu deiner Rettung herbeigeeilt ist, nur um von hinten eins über den Schädel zu bekommen und in Ketten gelegt zu werden.“
Ihre Antwort war ein zittriges Schluchzen.
„Verlier nicht den Mut, Süße. Sag mir, wie es dir geht. Bist du verletzt?“ Er hielt den Atem an. Sie war schon seit einer Nacht und einem Tag in diesem Kerker.
„Ich bin nicht verletzt, aber es wäre mir lieber, nicht hier sein zu müssen. Ich habe nur mein Unterkleid an und bin bis auf die Knochen durchgefroren.“
Verzweifelt wünschte Dash sich, er könnte sie halten, sie wärmen, sie beschützen. „Wer hält uns hier gefangen, Maryanne?“
„Weißt du es nicht?“, war ihre geflüsterte Antwort.
„Sie waren maskiert und trugen Umhänge. Und ich glaube, die Männer, die mich hierhergebracht haben, waren ohnehin Diener.“ Wusste sie tatsächlich nicht, wer sie hier gefangen hielt, oder wagte sie nur nicht, den Namen laut auszusprechen?
„Ich weiß nicht, wer es ist, Dash.“ Sie klang eher verärgert als verschreckt.
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