Samuel Carver 01 - Target
Blick verunsichert.
Carver machte weiter. »Sie haben die Tasche in einer Wohnung an der Rue St. Louis-en-l’Ile. Die Tasche liegt auf dem Bett. Daneben eine weiße Chanel-Tragetasche mit Parfüm, Lippenstiften und einer kleinen schwarzen Schachtel – wahrscheinlich eine Uhr. Das haben Sie im Duty-Free-Shop gekauft, stimmt’s? Sie wollten den Auftrag mit einem netten Shopping verbinden. Mir gefällt das; das wirkt irgendwie feminin.«
Die Frau war nicht beeindruckt. »Was reden Sie da eigentlich? Sind Sie ein Stalker?«
»Nein, ich versuche, Ihnen beizubringen, dass man auch Sie beseitigen wollte. Ich muss zugeben, eine elegante Methode. Sie haben ein Team auf das andere angesetzt. Verstehen Sie? Als Max mich instruiert hat, behauptete er, dass die Wohnung meiner Zielperson gehört. Ich sollte eine Falle aufstellen, falls mein Opfer dem ersten Anschlag entgeht. Aber die Wohnung gehört ihm gar nicht, nicht wahr?«
Die Frau schwieg wieder. Carver ließ das Schweigen zwischen ihnen wirken. Er musterte sie. Sie sah ihn nicht mehr an. Stattdessen schaute sie auf den Boden und dachte sich ihren nächsten Schritt aus. Es vergingen ein, zwei Minuten, bis sie Carver wieder anblickte, aber die Feindseligkeit war verschwunden; stattdessen forschte sie in seinem Gesicht nach den entscheidenden Hinweisen, die ihr zu einem Entschluss verhelfen würden. Dann war es so weit. Sie nickte und redete.
»Na schön. Kursk – der Mann, den Sie angeblich getötet haben – hat die Anweisungen bekommen, als wir in Paris eingetroffen sind. Jemand hat ihn angerufen – ich weiß nicht, ob das dieser Max war, von dem Sie reden. Man befahl uns, in diese Wohnung zu gehen und auf weitere Befehle zu warten. Dort fanden wir neue Kleidung, Stiefel und Helme, Waffen und einen Schlüssel. Auch eine Kamera mit einem dicken Blitzgerät obendrauf.«
»Sie haben sich umgezogen?«
»Ja.«
»Warum waren nur Ihre Sachen in der Wohnung? Was ist mit denen von Kursk?«
»Er hat sie in die Mülltonne geworfen, als wir gegangen sind.«
»Warum?«
»Woher soll ich das wissen? Vielleicht reist er gern mit leichtem Gepäck.«
»Kein Gepäck, keine Spur – das klingt vernünftig. Was kam als Nächstes?«
»Um halb neun herum haben sie ihn wieder angerufen. Wir sollten zur Rue Duphot gehen. Die geht von der Rue de Rivoli ab, in der Nähe des Place Vendôme. Als wir kurz vor 21 Uhr da ankamen, erhielt Kursk einen weiteren Anruf. Es hieß, unser Ziel sei ein schwarzer Mercedes. Wir sollten ihm folgen und die Kamera mit Blitzlicht benutzen, um die Leute im Wagen in Aufregung zu versetzen, damit sie schneller fahren. Danach sollten wir in die Wohnung zurückkehren und am nächsten Morgen abfliegen. Eine Stunde später bekam Kursk noch einen Anruf. Der schien ihn sehr zufrieden zu machen.«
Carver nickte. »Das passt. Sie haben Sie aus der Wohnung gelockt, bevor ich dort angekommen bin, und dann abgewartet, bis ich meine Arbeit erledigt habe. Sobald sie wussten, dass Sie umkommen würden, riefen sie Kursk an, damit er mich erledigt. Wie ich schon sagte, sehr geschickt. Daraus ergibt sich eine neue Frage: Warum wollen sie uns umbringen?«
»Ich weiß es nicht. Ehrlich.«
»Es muss etwas mit dem Auftrag zu tun haben. Haben Sie in den Wagen gesehen?«
»Nicht richtig. Ich hatte das Visier unten, und die Kamerablitze spiegelten sich auf den Scheiben. Ich glaube, es waren vier Leute: zwei vorne, zwei hinten. Einer könnte eine Frau gewesen sein – ich weiß es nicht.«
»Wo ist die Kamera?«
»Im Motorrad. In den Seitenfächern.«
»War ein Film eingelegt?«
Sie überlegte kurz. »Ich weiß es nicht. Es hat nur geblitzt. Vielleicht haben sie das Gerät manipuliert.«
»Das leuchtet ein. Keine photographischen Beweise.«
Sie sah ihn an. »Und was nun?«
Carver hatte sie beim Erzählen betrachtet. Sie hatte blonde Haare, einen breiten Mund mit vollen Lippen und kühle blaue Augen. Ein Lid war etwas schwerer als das andere, eine Pupille eine Spur verstellt. Diese winzige Asymmetrie hätte ihr Aussehen verderben können; doch das war es gerade, was ihn faszinierte, ihn zu ihr hinzog. Bei einer durchschnittlich hübschen, sogar bei einer schönen Frau würde er höchstens einmal hinsehen. Bei dieser hatte er Mühe, sich wieder abzuwenden.
»Jetzt werden wir uns entscheiden«, sagte er. »Ich kann Sie hier erschießen und in die Nacht verschwinden. Das hätte den Vorteil der Einfachheit. Aber ich möchte Sie nicht töten, wenn es nicht unbedingt sein
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