Samuel Carver 01 - Target
Geschichte gehört habe.«
»Also, ich brauche einen Drink, wenn ich mein Innerstes nach außen kehren soll.« Er ging zur Küche. »Wie wär’s mit einem Glas Wein? Tun wir so, als wären wir normale Leute, die an einem Sommernachmittag eine schöne Flasche kalten Pinot Grigiot trinken.«
Sie überlegte kurz. »Pinot Grigiot, ein italienischer Wein. In Amerika als Pinot Gris bekannt. Kein klassischer Wein, aber sehr erfrischend. Sehen Sie«, sagte sie mit selbstzufriedenem Lächeln, »ich wurde gut ausgebildet.«
Carver blieb im Durchgang stehen und sah die schöne Frau in dem verwaschenen T-Shirt an. »Ja, das glaube ich gern«, bemerkte er und ging den Wein holen.
28
Der OV war nach England zurückgereist. Er musste mit seinem Boss sprechen und entscheiden, was zu tun war. Sie würden zweifellos auf ihre eigenen Mittel zurückgreifen, um ihre entlaufenen Mitarbeiter aufzuspüren. Papin war entschlossen, ihnen dabei zuvorzukommen. Und dann würde er aus allem, was er vielleicht aufdeckte, seinen Vorteil ziehen.
Es amüsierte ihn, dass in Paris niemand sein Interesse am Schicksal des Paares teilte. Die Fernsehsender hatten die Phantombilder schon am frühen Nachmittag nicht mehr ausgestrahlt. Die Sendungen über den Tod der Prinzessin glichen einer globalen Flutwelle, die alle anderen Nachrichten in Trauer, Spekulationen und Neugier untergehen ließ. Die Polizei war froh gewesen, dass sie die übrigen Vorfälle dieser Nacht unter den bürokratischen Teppich kehren konnte.
Umso besser für Papin. So hatte er keine Konkurrenz. Doch er wusste, dass Charlie für Leute arbeitete, die Carver, die Frau und den kostbaren Computer zu gerne finden würden. Und die würden bestimmt nicht allein sein. Andere würden ebenfalls suchen. Wenn er richtig gewettet hatte und Petrowa Carvers neue Partnerin war, musste sie einen Boss in Russland haben. Der würde sich wundern, wo sie abgeblieben war und was sie tat. Wenn Papin Informationen beschaffte, die beide Seiten interessierten, könnte er den Preis in den Himmel treiben. Darum beschlagnahmte er alle Videobänder vom Gare de Lyon und nahm sie in sein unbezeichnetes Büro mit. Er kochte sich eine Kanne starken Kaffee, fand ein Päckchen Zigaretten und machte sich an die Arbeit.
Seine erste Aufgabe war, Petrowa zu identifizieren. Die Haarfarbe, die Carver gekauft hatte, musste für sie gewesen sein, denn er hatte sie nicht benutzt: Das war auf den Kameraaufnahmen eindeutig zu erkennen. Papins Phantombild von ihr war also schon überholt. Er beschloss, noch einmal ganz von vorne anzufangen.
Er sah sich jede Person an, die zwischen 6 Uhr 45 und 7 Uhr 15 zum Bahnsteig des Mailänder Zuges ging. Glücklicherweise war der Bahnhof sonntags um diese Zeit nicht sehr belebt. Papin ließ einzelne Männer und Familien mit Kindern außer Acht, sowie alle, die offensichtlich unter achtzehn oder über vierzig waren. Er musterte nur einzelne junge Frauen.
Derer gab es zweiundzwanzig. Papin druckte von jeder ein Standfoto aus, um noch einmal den Prozess des Aussonderns zu beginnen.
Papin war Franzose. Er hielt nichts von Political Correctness. Diese Petrowa hatte einen ausgebildeten Killer davon überzeugt, die Grundregeln seines Handwerks zu vergessen. Er hätte sie töten müssen. Selbst wenn er die Nacht mit ihr verbracht hatte, hätte er sie hinterher umbringen müssen. Er konnte sich nicht erlauben, eine Zeugin am Leben zu lassen. Und doch hatte er es getan. Folglich war sie eine außergewöhnliche Frau.
Es war eine Sache von Sekunden, den Stapel Standbilder durchzugehen und die Untersetzten und Unscheinbaren auszusortieren, die Rucksackträgerinnen mit dicken Oberschenkeln, die Kurzsichtigen mit vorstehenden Schneidezähnen und die flachbrüstigen Mauerblümchen, deren Schicksal es war, für Männer unsichtbar zu bleiben. Blieben sieben übrig. Schönheit war in der Tat eine Seltenheit, sinnierte Papin.
Nicht dass alle sieben schön gewesen wären; aber man musste vorsichtig sein. Diese Frau hatte eine harte Nacht durchgemacht. Sie würde übermüdet sein und nicht gerade blendend aussehen. Und eine Überwachungskamera war nicht das schmeichelhafteste Objektiv. Papin sah genauer hin. Vier weitere Bilder landeten im Papierkorb.
Jetzt waren noch drei in der Endrunde seines Schönheitswettbewerbs. Die Erste war eine kleine Blonde in engen Jeans und einer weißen Bauernbluse. Papin lächelte. Die würde bestimmt jeden Mann in Versuchung bringen. Aber ihre goldblonden Haare reichten
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