Samuel Carver 01 - Target
standen Photographien in Rahmen aus Silber und braunem Leder. Darunter die Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Mannes mit einem kleinen Jungen in altmodischer Kleidung: Carver und sein Vater. Die Frau auf dem Photo musste seine Mutter sein. Auf einem Farbphoto stand Carver am Ruder einer Jacht mit einer Frau, die ihn von hinten umarmte. Sie lachten beide.
Aliks empfand einen Hauch von Eifersucht. Wer war die Frau, die Carver so glücklich machte? In seiner Wohnung gab es keine Hinweise auf eine Frau. Sie gehörte nicht mehr zu seinem Leben. Trotzdem nahm Aliks ihr die Nähe zu ihm und die ungezwungene Freude übel.
Sie redete sich ein, dass es nur professionelle Gründlichkeit sei, als sie in Carvers Kleiderschrank sah und den Stoff seiner englischen und italienischen Anzüge befühlte und über die abgetragenen Jeans und die weiten Trainingshosen lächelte. Sie dachte an seine Wanderhose mit den vielen Taschen. Wie kam es, dass Männer ihre Kleidungsstücke umso mehr liebten, je länger sie sie trugen? Auf dem obersten Schrankbrett über den Hemden und Anzügen lagen zwei zusammengefaltete Decken und ein zusammengerolltes Federbett.
Aliks musste sich strecken, um heranzureichen. Sie zog es herunter, trug es ins Wohnzimmer und deckte den reglosen Carver zu. Und wo sollte sie sich nun hinlegen? Das war eine Junggesellenwohnung. Es gab nur ein Bett, und darin würde Aleksandra Petrowa schlafen.
30
Carver wachte in der Nacht um kurz nach drei auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriffen hatte, wo er war. Er lag auf dem Sofa, noch angezogen, aber mit dem Federbett zugedeckt. Er grübelte über die Bedeutung dieser Geste nach. Sicherlich sah das wie ein gutes Zeichen aus. Angesichts der Möglichkeit, ihn entweder im Schlaf umzubringen oder es ihm behaglich zu machen, hatte Aliks zur Bettdecke gegriffen.
Wo war sie eigentlich?
Nicht in der Küche und nicht in seinem Arbeitszimmer. Das Bad war leer. Da hingen nur ein paar Damenslips zum Trocknen auf der Handtuchstange. Blieb nur noch eine Möglichkeit. Carver öffnete leise die Schlafzimmertür und tappte durch den Raum.
Sie lag in seinem Bett. Die Umrisse ihres Körpers zeichneten sich unter der Decke ab, und er sah ihre pechschwarzen Haare auf dem weißen Kopfkissen. Einen Arm hatte sie vor sich ausgestreckt; er verdeckte halb das Gesicht. Ab und zu schnaufte sie ein bisschen. Carver lächelte und schüttelte den Kopf, als er bei sich ein längst vergessenes Gefühl bemerkte: Zuneigung.
Eine Frau sympathisch finden war eine Sache, aber sie schnarchen hören und das für niedlich halten, nun, da wurde es ernst.
Carver musste sich zusammenreißen, um sich abzuwenden und aus dem Zimmer zu gehen. Er dachte über alles nach, was Aliks ihm erzählt hatte. Er glaubte die Episode, wie sie zum KGB gekommen war. Aber die bloße Tatsache, dass sie ausgebildet worden war, um Männer zu täuschen, ließ ihn an der übrigen Geschichte zweifeln.
Sie arbeitete also an der Rezeption eines schicken Hotels, wo ein Verbrecher hereinspaziert kam und sagte: »Komm mit mir zu einer äußerst gefährlichen, streng geheimen Mission in Paris, sonst verrate ich aller Welt, dass du eine Hure warst.«? Nein, das klang nicht glaubwürdig. Andererseits machte sie das noch nicht zu seinem Feind. Es gab alle möglichen Gründe, warum sie ihn über ihre wahre Identität belügen mochte. Er hatte das weiß Gott selbst oft genug getan.
Carver überprüfte seine Telefone und den Bürocomputer, um zu sehen, ob sie sich mit jemandem in Verbindung gesetzt hatte. Die Telefone wurden über eine Reihe von Relais geleitet, die es unmöglich machten, ihn aufzuspüren. Das System verfolgte auch jede Aktivität. Es hatte während seines Schlafs keine gegeben. Er schaute in sein E-Mail-Programm – ebenfalls nichts.
Blieb noch Max’ Laptop. Es war denkbar, dass Aliks ihn benutzt hatte. Die Tasche stand noch auf dem Küchenstuhl, wo Carver sie bei ihrer Ankunft hingestellt hatte. Sie sah unberührt aus. Aber das hieß nichts. Aliks wäre klug genug, alles wieder so hinzustellen, wie sie es vorgefunden hatte.
Carver öffnete die wattierte schwarze Nylontasche und zog den Laptop heraus. Es war ein Hitachi, ein grauer Plastikkasten wie Millionen andere auch. Er klappte ihn auf, drückte den Einschaltknopf und wartete, bis Windows 95 geladen war. Sofort erschien eine Box, die ein Passwort verlangte. Carver hatte keine Ahnung, was Max als sein persönliches Sesam-Öffne-Dich genommen haben könnte, und Aliks
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