Samuel Carver 01 - Target
würde irgendjemand den Tod der Prinzessin von Wales wollen?«
»Nun ja, das ist eine verblüffende Frage …«, sagte Wake und lehnte sich zurück. »Vermutlich sind Sie nicht der Einzige, der das fragt. Sind die Medien schon auf den Verdacht eines Gewaltverbrechens gekommen?«
Der Geheimdienstler schüttelte den Kopf. »Noch nicht, aber es ist nur eine Frage der Zeit. Auf den Webseiten von einigen wirren Verschwörungstheoretikern wird behauptet, die Prinzessin sei schwanger gewesen. Der Vater des Freundes schwört, der Duke of Edinburgh habe sich gegen ihn verschworen. Und die Prinzessin selbst glaubte augenscheinlich, der Prince of Wales habe sie töten lassen. Wir denken, sie hat das alles auf Band aufgenommen. Gott stehe uns bei, wenn das je ans Licht kommt.«
Wake seufzte. »Das arme Mädchen, sie hatte immer eine verzweifelte Sehnsucht nach Liebe und litt unter einem starken Verfolgungswahn. Was vermutlich nicht überrascht. Die Scheidung der Eltern war besonders schmutzig. War sie denn schwanger?«
»Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich nicht.«
»Machen Sie sich keine Gedanken. Das ist nicht wichtig. Die Prinzessin gehörte nicht mehr zur königlichen Familie. Selbst wenn sie später ein Kind zur Welt gebracht hätte, es hätte keine wesentliche Bedeutung mehr gehabt. Und ich glaube auch nicht eine Sekunde lang, dass irgendein Mitglied der königlichen Familie das Geringste mit einem Anschlag zu tun hat. Die bloße Vorstellung ist absurd.«
Grantham ließ einen Moment verstreichen, bevor er etwas dazu sagte. Er sprach ruhig. Seine Worte waren von tadelloser Höflichkeit, doch sein Tonfall war eisern. »Ich will nicht behaupten, dass der Palast direkt daran beteiligt war; doch es mag andere geben, die glauben, im besten Interesse der Monarchie oder des Landes zu handeln. Nehmen wir einmal rein hypothetisch an, dass es diese Leute gibt. Welches Motiv hätten sie für solch ein Verbrechen?«
Wake nahm einen Füllfederhalter vom Schreibtisch und klopfte damit ein paar Mal auf das Nussbaumholz, während er seine Gedanken ordnete. Dann begann er zu sprechen.
»Gestern Abend habe ich einen Spaziergang zum Palast gemacht. Es war höchst ungewöhnlich. Vor dem Tor war eine riesige Menschenmenge versammelt, und sie strahlte eine Wut aus, eine Heftigkeit, wie ich sie in diesem Land noch nicht erlebt habe. Die Leute waren tief getroffen; sie waren hilflos, und sie wollten einen Schuldigen. Da hätte nur ein Mann auf einer Seifenkiste gefehlt, um sie bis zur Raserei aufzustacheln, und ich schwöre, sie hätten das Tor gestürmt.«
Grantham schien dazu etwas sagen zu wollen, doch Wake hob die Hand. »Lassen Sie mich fortfahren. Ich ging den Constitution Hill entlang, durch den Hyde Park und nach Kensington Gardens. Auf dem Rasen vor dem Kensington-Palast unter der Wohnung der Prinzessin lag ein ganzes Meer von Blumen, teils prächtige Sträuße, teils pathetische kleine Bündel verwelkter Blüten, aber alle waren zur Huldigung dort abgelegt. Und ständig kamen neue Leute und brachten noch mehr Blumen, Briefe und Kerzen. Sie redeten miteinander und weinten, und wildfremde Leute fielen sich um den Hals.
Das ist etwas völlig Neues. Die ganze Reserviertheit, die unsere Nation lange Zeit gekennzeichnet hat, dieses ganze Haltungwahren und Durchwursteln ist einer beinahe mutwilligen Hysterie gewichen. Und gleichzeitig ist es wahrhaft primitiv, eine Rückkehr zur kultischen Verehrung der Göttin, der Mutter. Die Prinzessin symbolisierte offensichtlich etwas außerordentlich Machtvolles. Ich komme also nicht umhin, mich zu fragen: Wenn sie solchen Einfluss im Tode ausüben kann, was wäre alles passiert, wenn sie weitergelebt hätte?
Gestern hat der Premierminister sie als Prinzessin des Volkes bezeichnet. Das war eine platte Phrase, aber nichtsdestoweniger wirkungsvoll. Sie hatte tatsächlich einen bemerkenswerten Einfluss auf die Leute, und jedes Interview, das sie gab, jedes Foto, für das sie posierte, unterstrich, dass sie viel mehr Zuneigung erhielt als ihr gewesener Gatte.
Das ist ganz natürlich. Die Leute werden immer mehr Sympathie für die ungerecht behandelte Ehefrau haben, besonders wenn sie schön und verletzlich ist. Unter normalen Umständen spielt das eigentlich keine Rolle, aber die Umstände sind alles andere als normal. Der ehemalige Gatte ist der künftige König von England, und es wäre ihm unmöglich, wirksam zu regieren oder vielleicht sogar den Thron zu besteigen, wenn es einen
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