Samuel Carver 02 - Survivor
schwenkte.
Darauf hoffte er.
Er hatte überlegt, dass der Hubschrauber ein viel größeres Ziel bot als er. Und er selbst stand auf dem festen Grund eines Bauwerks, während seine Gegner in der Luft schwebten, in einem Fahrzeug, das sich ständig bewegte.
Er verließ sich darauf, dass das etwas ausmachte. Wenn nicht, war er geliefert. Immerhin würde er nur erschossen werden.
So stand er da und wartete, so reglos und aufrecht wie ein Gefangener im Angesicht des Exekutionskommandos. Der Hubschrauber war jetzt keine hundert Meter mehr entfernt und hielt weiter auf ihn zu. Der Lärm der Rotorblätter, die durch die Luft schnitten, war ohrenbetäubend, und der Luftzug von oben zerrte an ihm wie ein Sturm.
Sie glaubten, jetzt hatten sie ihn, das war offensichtlich.
Dann stoppte der Hubschrauber den Vorwärtsflug. In dem kurzen Augenblick, als er auf der Stelle verharrte, glaubte Carver, den Mann auf dem Sitz des Kopiloten zu erkennen, aber dann wurde der Gedanke weggewischt, als der Schwanz des Raubvogels begann, herumzuschwenken. Dadurch konnten die Bewaffneten in der offenen Tür auf ihn zielen.
Jetzt nahm er den Granatwerfer, der neben ihm gelegen hatte, und brachte ihn in Anschlag. Mit der eiskalten Geduld des gut ausgebildeten Soldaten wartete er den Sekundenbruchteil ab, der nötig war, um ihm das größtmögliche Ziel zu präsentieren. Der Hubschrauber vollendete seinen Schwenk, und als die ersten Kugeln mit diesem schrecklichen Geräusch an ihm vorbeipfiffen, drückte er ab.
Genau in dem Momant, als die Granate den Lauf verließ, wurde Carver von zwei Kugeln auf der Brust getroffen. Er wurde von den Füßen gerissen und über die ganze Breite des Viadukts geschleudert, sodass er mit dem Hinterkopf gegen die Steinbrüstung prallte. Ein paar Sekunden lang war er benommen. Bis er seinen Gegner wieder klar sehen konnte, hatte sich das Gas im Passagierraum des Dauphin zu einer undurchsichtigen Wolke ausgebreitet. Die Maschine schlingerte und stampfte in der Luft.
Carver sah einen der Männer, die auf ihn geschossen hatten, aus dem Rauch auftauchen und blind aus der Türöffnung treten. Mit verätzter Kehle und ohne einen Schrei auszustoßen, stürzte er in den Tod.
Dann kam neue Bewegung in den Hubschrauber, und Carver erkannte entsetzt, dass er genau auf ihn zuflog. Die Angst fegte seine Benommenheit weg. Er kam auf die Beine und rannte um sein Leben. Der Hubschrauber stieß gegen das Viadukt. Der Motor heulte auf, und Metall kreischte, als die Rotorblätter sich in den knirschenden Stein bohrten. Kleine Splitter flogen wie Projektile in alle Richtungen. Einer traf Carver am Rücken, und wieder einmal hatte er es dem Zufall zu verdanken, dass er seit seiner Flucht von dem brennenden Haus keine Zeit gehabt hatte, die kugelsichere Weste auszuziehen.
Hinter ihm löste sich der Hubschrauber von dem Viadukt, rutschte vom Mauerwerk ab und stürzte in die Tiefe, auf den Talboden zu, wo er mit einem letzten Scheppern aufschlug. Es folgte ein Augenblick der Stille, dann ging er in Flammen auf.
Carver ging zu der Stelle zurück, wo er gestanden hatte, hob den Granatwerfer auf und schleuderte ihn in das Inferno. Er prüfte, ob niemand in der Nähe war, und warf die Atemschutzmaske hinterher. Dann sah er auf die Uhr. Es war halb sechs. Ihm blieben anderthalb Stunden Zeit, um zum Cap d’Antibes zurückzufahren, im Hôtel du Cap einzuchecken, zu duschen, sich irgendwelche sauberen Sachen anzuziehen und sich für das Wiedersehen mit Aliks bereit zu machen.
Das klang ziemlich perfekt.
72
Es war halb zwölf am Vormittag in Washington D.C. und sie saßen wieder im selben Sitzungsraum des Weißen Hauses. Leo Horabin wollte den neuesten Stand der Ermittlungen wissen. Der Fall wurde von Anfang an geschildert, Kady Jones brachte Henry Wongs Foto von Vermulen und Riva auf den Bildschirm und erklärte, welchen Zweck deren Treffen gehabt hatte. Tom Mulvagh berichtete daraufhin von seinen Ermittlungen zu Vermulens Bewegungen in Europa und zum Tod seiner Sekretärin Mary Lou Stoller.
»Als Erstes habe ich mit Ted Jaworski zusammen ermittelt, wie alles abgelaufen ist, als Mrs Stoller durch Ms Natalja Morley ersetzt wurde. Ted, vielleicht möchten Sie die Erkenntnisse vorstellen.«
Der CIA-Mann übernahm das Wort. »Sicher. Das Fazit lautet: Eine Natalja Morley gibt es nicht. Das ist eine falsche Identität, die gut genug vorbereitet wurde, um dem kritischen Blick eines Arbeitgebers standzuhalten, der eine Sekretärin einstellt.
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