Samuel Carver 03 - Assassin
lie ß die Gummifalte los und lenkte das Fahrrad an die Bordsteinkante. Dann stieg er ab, stellte es m ö glichst unauff ä llig hinter das Warteh ä uschen und mischte sich unter die einsteigenden Fahrg ä ste.
Die Stra ß enbahn fuhr weiter, bog an der Kreuzung rechts ab und folgte den Schienen bergab parallel zur Karl Johans Gate und schlug dieselbe Richtung ein, die Carver genommen hatte, bevor er in die Gasse entwischt war. Vor sich sah er einen offenen modernen Platz und dahinter ein Neonschild ü ber einer Glasfassade, das die » Oslo Sentralstasjon « auswies. Das Wort sah fremd aus, aber als er es sich vorsagte, verstand er es sofort: Central Station. Hauptbahnhof.
Als die Bahn wieder hielt, stieg er aus und raste ü ber den Platz unter das Vordach und in den Bahnhof. Geradeaus f ü hrte eine Rolltreppe nach oben. Dar ü ber hing ein dunkelblaues Schild mit einer norwegischen Aufschrift in Wei ß und mit einer englischen in Gelb. » Zu den Gleisen « las er und rannte auf die Rolltreppe. Er blieb auf seiner Stufe stehen und genoss es, sich tragen zu lassen, w ä hrend er sich umsah, ob seine Verfolger ihn eingeholt hatten.
Keiner war zu sehen. Er hatte es geschafft.
F ü rs Erste wenigstens.
39
Als Carver in der Gleishalle stand, fiel sein Fluchtplan in sich zusammen. Es gab keinen Nachtzug nach Stockholm oder sonstwohin ins Ausland. Vor sieben Uhr fr ü h fuhr gar nichts. Doch das war unerheblich, denn Carver hatte kein Geld. Das war ihm erst eingefallen, als er vor dem Fahrkartenautomaten stand. Seine Brieftasche steckte im Jackett, das im Caf é des Kong Haakon Hotels ü ber der Stuhllehne hing. Er hatte auf die f ü r M ä nner typische sinnlose Art seine Hosentaschen nach Kleingeld abgeklopft, als k ö nnte er den verlorenen Besitz wieder herbeizaubern, indem er auf seine Weichteile schlug. Ü berfl ü ssig zu sagen, dass der Zauber nicht klappte.
Er verzog das Gesicht, zischte ein derbes Schimpfwort durch die Z ä hne und verfluchte sich, weil er so nachl ä ssig gewesen war. Fr ü her, als er noch nach dem Prinzip arbeitete, dass er jederzeit in der Lage sein sollte, schnell die Flucht zu ergreifen, war er nie ohne Geldg ü rtel aus dem Haus gegangen und hatte in einer versteckten Hosentasche Kreditkarten f ü r mindestens zwei Decknamen, entsprechende P ä sse und eine saubere Prepaidkarte bei sich gehabt. Jetzt, wo er gesetzestreu lebte, war er pl ö tzlich so hilflos wie ein gedankenloser Normalb ü rger.
Was hatte er also noch?
Sein wichtigstes Gut war sein Telefon. Es hatte nicht mehr viel Saft, er w ü rde sparsam damit umgehen m ü ssen, aber der Textspeicher enthielt die Nachrichten, die er angeblich von Jack Grantham bekommen hatte. Sie waren der einzige Beweis f ü r seine Verteidigung, das einzige Indiz, dass er die Zimmernummer auf Bitten von jemand anderem angerufen hatte.
Au ß er dem Handy kamen aus seinen Taschen noch die Tageskarte f ü r den ö ffentlichen Nahverkehr, zwei Zwei-Euro-M ü nzen, die er noch von Paris her hatte, und achtundsechzig Norwegische Kronen zum Vorschein. Konnte er damit irgendwohin? Er schaute auf einen Schienennetzplan. Der n ä chste Bahnhof an der schwedischen Grenze war Halden, s ü dlich von Oslo. In acht Minuten sollte ein Zug gehen, aber die billigste Fahrkarte kostete knapp zweihundert Kronen. Er w ü rde einsteigen und hoffen m ü ssen, dass er dem Kontrolleur entging.
Carver sah sich nach seinen Feinden um, wie er es schon mehrmals getan hatte, seit er am Bahnhof angekommen war. Diesmal entdeckte er einen, der scheinbar an einem Zeitungskiosk eine Flasche Wasser kaufte. Der Mann stand mit dem R ü cken zu ihm, aber der kahl rasierte Kopf und die Konturen der schwarzen Bomberjacke, die ü ber den massigen Schultern spannte, waren ihm bekannt. Er war in der Postenkette vor den wartenden Mercedes der Dritte von links gewesen.
Ganz ruhig, ohne ein Anzeichen von Hast, ging Carver von dem Fahrscheinautomaten weg.
Der Mann stellte die Wasserflasche wieder in den K ü hlschrank und folgte Carver ein St ü ckchen schr ä g rechts hinter ihm.
Carver ersp ä hte ein zweites bekanntes Gesicht, das offenbar das Interesse an der Anzeigetafel mit den Abfahrtszeiten verlor.
Er ging immer noch recht langsam, ebenso die M ä nner hinter ihm. Sie waren wie Rivalen auf der Radrennbahn, die sich anfangs Zeit lie ß en, um zu sehen, wer als Erster die Nerven verlor und das Tempo erh ö hte.
Carver ging unter einem Schild durch, das die Fahrg ä ste zum
Weitere Kostenlose Bücher