Samuel Carver 04 - Collateral
Ja, ich gebe es zu, ich möchte Gushungo tot sehen, weil er meine halbe Familie umgebracht hat, denn er hat den Überfall im Stratten-Reservat befohlen. Dafür muss er mit seinem eigenen Blut bezahlen, eine längst überfällige Schuld. Aber es ist mir auch ernst, wenn ich sage, dass er Malemba nur Elend bringt.«
Klerk hatte die rechte Faust geballt, reckte den Zeigefinger in die Höhe und stach nun mit ihm bekräftigend in die Luft.
»Meine Heimat war einmal die Kornkammer Afrikas, und jetzt sind weite Gebiete des einst fruchtbaren Farmlandes nur noch Staub und Unkraut. Das Einzige, was eine Hungersnot noch verhindert, sind die Lebensmittellieferungen der Industriestaaten. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei fünfundvierzig Jahren. Einer von zehn Menschen ist HIV-positiv. Es hat eine Choleraepidemie gegeben. Und obendrein müssen die Leute auch noch staatliche Unterdrückung, manipulierte Wahlen, Zwangsräumung und Wiederansiedlung in dreckigen Zeltlagern im Nirgendwo ertragen. Ich sag Ihnen, Mann, das ist eine Katastrophe.«
»Ich verstehe«, sagte Carver. »Der Mann ist ein übler Tyrann. Aber das hat man auch über den Irak erzählt. Saddam zu töten hat nicht viel Gutes bewirkt, nicht wahr? Wenn man den Scheißkerl an der Spitze umlegt, folgt nicht plötzlich ein Ausbruch von Liebe und Frieden unter den Menschen. Stattdessen nimmt ein anderer Scheißkerl seinen Platz ein. Oder noch schlimmer: Die Scheißkerle bekriegen sich haufenweise, um an die Spitze zu gelangen, während unschuldige Bürger in deren Schießereien geraten. Und wenn man es auf illegale Weise erledigt, macht es die Dinge nur umso schlimmer. Warum sollte das in Malemba anders sein?«
»Weil es eine Alternative gibt. Ein überzeugter Demokrat wartet auf die Chance, das Land anständig und friedlich zu regieren. Ich nehme an, Sie haben schon von Patrick Tshonga gehört. Er ist der Anführer der Volksbefreiungsbewegung.«
»Ist er der Kerl, der immer wieder die Wahl gewinnt, ohne an die Macht zu kommen, und dessen Sohn in einem Leichtflugzeug ums Leben gekommen ist? Offiziell hieß es, das sei ein Unfall gewesen, wie ich mich entsinne.« Carver stieß ein sarkastisches Lachen aus. »Mit solchen Unfällen kenne ich mich aus.«
Klerk nahm sein Mobiltelefon zur Hand und drückte eine Kurzwahltaste. »Könntest du bitte unseren Gast hereinbringen, meine Liebe? Und auch den Laptop, wenn es dir nichts ausmacht.«
Die beiden Männer warteten schweigend, bis nach einer Minute die Tür aufging und Alice mit einem MacBook Air unter dem Arm hereinkam, das mit seinem schmalen Aluminiumgehäuse wie eine futuristische Abendtasche aussah. In ihrer Begleitung war ein großer, kräftig gebauter Schwarzer, dessen rasierter Kopf einen Hauch grauer Stoppeln zeigte. Seine breiten Schultern schienen den Stoff des Anzugs zu strapazieren, und sein Hals quoll aus dem Hemdkragen. Er sah aus wie einer, der mit harten Bandagen kämpft. Wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, das Land durch einen Zweikampf an sich zu reißen, hätte der Präsident keine Chance gehabt.
»Guten Abend, Mr. Carver«, sagte er. »Mein Name ist Patrick Tshonga. Ich habe das Privileg, den Kampf für eine Demokratie in Malemba anzuführen. Ich nehme an, Mr. Klerk hat die Bitte bereits vorgetragen, derentwegen Sie eingeladen wurden.«
»Ja, das hat er«, sagte Carver, als der stets verlässliche Terence hereinschlüpfte, um mehr Gläser und einen frischen Whiskyvorrat zu bringen. »Und ich wollte ihm gerade erzählen, dass ich auch immer glaubte, die Welt besser zu machen, indem ich die Schurken ausschalte. Dann begriff ich jedoch, dass ich damit nichts ausrichten konnte. Die Welt blieb, wie sie war. Und ich hatte mehr Tote auf dem Gewissen.«
Klerk schnaubte verärgert. »Kommen Sie mir nicht mit solchem Geschwätz, Mann. Sie waren nicht so zimperlich, als Sie meine Nichte befreiten. Sie haben damals eine Menge solcher Scheißkerle erledigt und dabei ein gutes Werk getan.«
Tshonga nahm den Whisky, den Terence ihm anbot, nickte ihm zu, womit er ihm dankte und ihn zugleich hinausschickte, dann sagte er: »Nein, Wendell, Mr. Carver hat recht. Es ist eine Sache, wenn wir einem schlechten Mann den Tod wünschen, aber eine ganz andere, wenn man selbst derjenige ist, der ihn umbringen soll. Aber denken Sie an all die Leute, die wegen dieses Mannes schon umgekommen sind. Haben sie keine Vergeltung verdient? Denken Sie an die Leute, die noch durch ihn sterben werden. Verdienen sie es nicht,
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