Samuel Carver 04 - Collateral
Wells hatte er eine alte, abgeschabte Tasche mit einem Überschlag und zwei Schnallen erworben. In die wanderte ein Messkännchen – eine Glasflasche mit silbernem Schraubverschluss, die Kommunionswein enthielt – und ein versilberter Abendmahlskelch. Der vorige Besitzer der Tasche hatte sich offensichtlich nicht die Mühe gemacht, seine Messkännchen fest genug zuzuschrauben, denn der Futterstoff hatte Rotweinflecken abbekommen, die ein wenig nach Essig rochen. Dazu kam eine kleine, runde Silberdose mit Scharnierdeckel, die zwanzig Hostien enthielt – die Pyxis.
Er hatte außerdem ein vergoldetes Kruzifix auf einem Sockel mitgebracht. Es war ungefähr dreißig Zentimeter hoch. Man hatte ihm geraten, ein Kreuz mit Jesusfigur zu nehmen, weil das dem säkularen Ort eine religiöse Atmosphäre verleihe. Für sich selbst hatte er eine rote Seidenstola. Die wurde um den Hals gelegt wie ein Schal und reichte bis zur Taille. An beiden Enden war ein goldenes Kreuz aufgestickt, darunter ein rot-goldener Besatz.
Als Letztes packte er eine Agende ein, in der die Gebete und Wechselgesänge standen, die er brauchen würde, sowie DIN-A4-Blätter mit den Bibelstellen.
Er blieb bei seiner Entscheidung, keine Schusswaffe mitzunehmen. Man würde ihn bei der Ankunft durchsuchen. Ein Mann, der so viele Feinde und dazu einen verschlagenen Mann wie Moses Mabeki an seiner Seite hatte, würde auf solche grundlegenden Sicherheitsvorkehrungen bestimmt nicht verzichten. Pistolen und Messer waren also auf jeden Fall überflüssig. Wenn sein Plan klappte, dann leise und schnell, bevor seine Opfer einen Angriff ahnten. Schüsse wären ein Zeichen für Versagen.
Carver vergewisserte sich noch einmal, dass er an alles gedacht hatte. Zalika war noch im Bad.
»Bist du fertig?«, rief er durch die Tür. »Denn in genau zehn Minuten gehe ich die Hintertreppe hinunter und durch den Personaleingang. Wenn du dann nicht so weit bist, werde ich nicht auf dich warten.«
56
Der Wachmann am Haupttor der Hon Ka Mansions winkte Carver mit seinem Wagen durch, ohne sich ihn genauer anzusehen. Es war Sonntagmorgen. Ein Engländer im Gewand eines Geistlichen wollte zu den Gushungos. Daran war nichts Ungewöhnliches. Wenn dieser eine junge Frau mitbrachte, so ging das den Wachmann nichts an.
Zwischen neu gebauten Villen, die diskreten Abstand zu ihrem Nachbarn wahrten, führte eine kurvenreiche Straße bergauf. Kurz vor dem Grundstück der Gushungos ließ Carver Zalika aussteigen. Dann fuhr er die Einfahrt hinauf, wendete im Halbkreis des Vorplatzes und parkte seinen zerbeulten Honda neben einem silbernen Rolls-Royce. Der lag ein bisschen tiefer als gewöhnlich und hatte wahrscheinlich das volle Sicherheitspaket bekommen, sodass er uneinnehmbar war wie ein Panzer. Es war ein schönes Auto, klar, aber es diente einem hässlichen Zweck und verkörperte die absolute Verachtung, die so viele afrikanische Diktatoren für die Armut ihres Volkes übrig hatten. Carver dachte an Justus und seine Kinder. Die schwitzten in Gefängniszellen, und hier gondelte Gushungo in einem Rolls durch die Gegend.
Aber nicht mehr lange.
Die Haustür lag etwas erhöht und war über eine kurze Treppe erreichbar. Einer der Leibwächter öffnete und musterte den Besucher misstrauisch. Er war einen halben Kopf größer als Carver und fünfzig Pfund schwerer. Der zugeknöpfte weiße Hemdkragen saß eng. Der rasierte Kopf glänzte von Schweiß.
»Guten Morgen«, grüßte Carver und streckte die Hand aus. »Mein Name ist Wishart. Ich bin Prediger der St. George’s Church. Ich komme, um Mr. und Mrs .... äh, dem Präsidenten und äh ... also den Gushungos jedenfalls die heilige Kommunion zu verabreichen.«
»Warten Sie hier.« Der Leibwächter verschwand im Haus.
Eine halbe Minute später stand Moses Mabeki an der Tür, der Leibwächter ragte massig hinter ihm auf. Carver kribbelte die Haut. Er war angespannt und angewidert. Die Nacht in Mosambik sprang ihm ins Gedächtnis und stand ihm lebhaft vor Augen. Ihm war unvorstellbar, dass Mabeki nicht wissen sollte, wen er vor sich hatte. Er musste sich eigens erinnern, dass er damals eine Gesichtsmaske getragen hatte und Mabeki ihn unmöglich erkennen konnte. Und doch wurde er das Gefühl nicht los, dass Mabeki ihn kannte, durch eine intuitive Kraft genau wusste, wer er war.
Falls dem so war, ließ er sich jedoch nichts anmerken.
»Wer sind Sie?«, fragte er und gab sich nicht einmal den Anstrich von Höflichkeit.
»Ich bin Wishart,
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