Samuel Carver 04 - Collateral
Nervosität war verschwunden, sobald er sich an seine Aufgabe gemacht hatte.
Als die Lesung zu Ende war, leitete er zum Glaubensbekenntnis über, das er nicht so ganz teilen konnte. Es sprach davon, dass Jesus in Herrlichkeit zurückkehren werde, um die Lebenden und die Toten zu richten. Als Carver diese Worte ablas, schaute er zufällig für einen Moment auf und fing Mabekis Blick auf. Er sah tiefe Verachtung in dessen Gesicht – die Verachtung eines Menschen, der die Vorstellung von Gut und Böse schon lange gegen Berechnung und Zweckdienlichkeit eingetauscht hat.
Carver stellte ebenfalls Berechnungen an. Sehr bald würde er eine Möglichkeit finden müssen, Mabeki zu töten, unabhängig von allem Übrigen. Die Leibwächter waren sicherlich bewaffnet. Wenn nicht, müsste er sich eine andere Waffe beschaffen. Hinter der Theke musste es einen Korkenzieher geben; zwischen die Finger der Faust geklemmt taugte er, um Mabekis Haut zu durchstoßen. Die Gardinen hatten Raffbänder; damit könnte er ihn erwürgen. Egal wo Carver sich aufhielt, es ließ sich immer eine Waffe finden, wenn man sorgfältig genug suchte.
Das dachte er, während er das Glaubensbekenntnis zu Ende brachte und das nächste Gebet anstimmte, und konnte selbst nicht leugnen, dass er ein abscheuliches Sakrileg beging. Doch das hielt ihn nicht auf, so wenig wie die Beichte das Verhalten der Gushungos änderte.
Jetzt begannen die Gebete, die zur Kommunion führten. Carver sah sich die Pyxis in die Hand nehmen, die die Hostien enthielt, und den Kelch und das Messkännchen, um sie zu weihen. Er führte die Gläubigen durch das Vaterunser, und fast zuckte er zusammen, als es hieß: Und vergib uns unsere Schuld ... und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Als sie alle das Amen gesprochen hatten, sagte Carver: »Wir brechen dieses Brot, um teilzuhaben am Leib Christi.«
Und die Gushungos, ihre Leibwächter und ihre Dienstmädchen antworteten: »Obwohl wir viele sind, sind wir ein Leib, weil wir ein Brot teilen.«
Carver öffnete die Pyxis und blickte sehr genau auf die kleinen runden Hostien. Er nahm eine heraus und sagte: »Der Leib Christi«, und steckte sie in den Mund. Sie war trocken, geschmacklos und klebte am Gaumen, sodass er sie mit der Zungenspitze losstemmen musste.
Mit dem Behälter in der Hand trat Carver zu den Gushungos. Der alte Mann saß mit geschlossenen Augen da und hielt die leicht gewölbten Handflächen vor sich.
»Der Leib Christi«, wiederholte Carver und legte Henderson Gushungo eine Hostie in die Hand.
»Amen«, murmelte der.
Er führte die Hände zum Mund und aß die Hostie. Von dem Moment an war der Präsident Malembas, der Vater der Nation, der berüchtigtste Diktator in einem Kontinent voll psychopathischer Führer, unwiderruflich ein toter Mann.
62
Saxitoxin, das die Strukturformel C 10 H 17 N 7 O 4 hat und nach der Muschel Saxidomus giganteus benannt ist, weil es darin zuerst entdeckt wurde, ist ein Neurotoxin, das heißt, ein Nervengift, und wird von einigen wenigen Algen der Dinoflagellaten, die im Plankton vorkommen, erzeugt. Diese mikroskopisch kleinen Lebewesen werden von größeren Lebewesen wie Schalentieren und Kugelfischen gefressen, vor allem während der sogenannten Algenblüte. Die tritt auf, wenn sich die Algen einschließlich des Saxitoxin enthaltenden Planktons stark vermehren und auf dem Wasser einen dicken roten oder braunen Teppich bilden. Das Plankton wird von Muscheln als Nahrung aufgenommen, und die Menschen essen die Muscheln und bekommen eine Muschelvergiftung, bekannt als Paralytic Shellfish Poisoning (PSP).
Saxitoxin ist hitzeresistent. Kochen kann die Wirksamkeit also nicht zunichtemachen. Wenn man es eingenommen hat, treten innerhalb von wenigen Minuten einige oder sämtliche der folgenden Symptome auf: Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, Kribbeln oder Brennen in den Extremitäten, auch in Lippen, Zahnfleisch und Zunge, Kurzatmigkeit und Atemnot, Verwirrung, schleppende Sprechweise, Verlust der motorischen Beherrschung. Jemand mit Saxitoxinvergiftung wird leicht für betrunken gehalten. Der entscheidende Unterschied ist, dass man nach einer durchzechten Nacht lediglich einen Kater hat. PSP kann dagegen sehr schnell tödlich sein. Saxitoxin ist sogar so gefährlich, dass eine Dosis von 0,2 Milligramm schon ausreicht, um einen durchschnittlichen Menschen zu töten. Damit ist es ungefähr tausendmal giftiger als das Nervengift Sarin.
Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher